Schwätzen und Schlachten
von früh an gewohnt, ihre Schularbeiten zu machen, während eine Horde Geschwister als Indianer verkleidet schreiend über sie drüberkletterte, Postboten unablässig klingelten, um zahllose Pakete und Wurfsendungen abzugeben, und garantiert fuhrwerkte immer gerade jemand dilettantisch auf einem Instrument, bearbeitete eine Geige, haute auf ein Schlagzeug oder spielte Bach in einer Bearbeitung für E-Gitarre. Sicher war der Tumult der Jagd, das Engagement eines voll besetzten Orchesters rein gar nichts gegen den steten Klamauk einer Großfamilie, sicher hatte sie sieben schöne Schwestern und wilde Brüder. Sieben schöne laute Schwestern. Eine Horde Geschwister, dachte er schaudernd, mit Indianerfedern und wüster Bemalung, mit der flachen Hand am Mund diese indianertypischen Schreie absondernd. Sie kletterten über Stuhl und Bank, sie kletterten über Möbel und Stubentische, sie kletterten über Katharina, die Schularbeiten, Hefte und Bücher, lexikalische Gesamtausgaben, Indianerpfade sind unergründlich und unerbittlich. Katharina machte stoisch ihre Schularbeiten, sie konjugierte lateinische Vokabeln und rechnete im Infinitesimal, der Postbote kam mit einer erneuten Wurfsendung, einer kratzte schon seit Stunden unverdrossen an einer Geige oder trompetete das Te Deum. Die Mutter taute den Kühlschrank ab, Marmelade, Milch und Wurst, alles räumte sie um Katharina herum, eingelegte Gurken, kiloweise Quark und Karotten, dazwischen knetete sie was in einer waschzubergroßen Schüssel oder staubsaugte schon wieder. Der Vater baute die Spülmaschine auseinander, da war was verstopft, irgendein Witzbold hatte einen Becher Zement ins Spülmittelfach geschüttet, einfach um zu sehen, was passiert. Der Vater entstopfte seufzend die Spülmaschine oder aber er weißte den Flur, den hatte schon wieder einer mit Kopffüßern bemalt, mit Vögeln wie Rosinenbombern, mit Sonnen, die lachten, jemand bemalte immer den Flur oder ein Kinderzimmer, eine freie Wand, dabei hatte er hunderttausendmal gesagt, dass das absolut verboten – na ja, er weißte eben den Flur. Einer war immer krank, jammerte aus dem oberen Stock, einer brach sich ein Bein oder brachte Läuse mit nach Hause oder Würmer, es kam neuer Besuch, irgendein Kind, es war von einem Kind der Freund. Noch eine Wurfsendung. Das Telefon klingelte, irgendein Kind, das eines der Kinder besuchte, solle sofort nach Hause kommen, alle säßen schon längst am Tisch und warteten nur noch – ja, sagte der Vater, er würde es ausrichten. Es klingelte, diesmal an der Tür, der Postbote, nein, eine Nachbarin, sie brachte den Wohnungsschlüssel zum Blumengießen, die Glückliche fuhr in Urlaub. Der Vater fragte sich, wovon die Kinderlosen eigentlich Urlaub brauchten, dann weißte er weiter. Katharina verfasste ein Résumeé zu Schillers Naiver und Sentimentaler Dichtung . Jemand duschte und niemand konnte aufs Klo, dabei ist es ganz dri-h-ingend, heulte das Kind vor der verschlossenen Tür, die Mutter wollte den Tisch umstellen, weil der Teppich musste in die Wäsche. Indianer zogen vorbei, Katharina raffte die Bücher an sich, setzte sich auf die Lexika, konjugierte, während die Mutter den Teppich zusammenfaltete. Wurfsendung. Schon wieder das Te Deum. Oben fiel was um, dem Geräusch nach ein vollgestopftes Regal, ein gewaltiger Klapf, beklommene Stille, dann Getrappel, Kinder, die sich aus dem Staub machten. Die Mutter ging hinauf, schimpfte ein bisschen, kam wieder herunter, stieg auf einen Stuhl, tötete eine Lebensmittelmotte und begann dann, den Kühlschrank mit Essig auszuwaschen. Eine Schwester erklärte, sie habe jetzt das Bücherregal im Wohnzimmer sortiert, wenn noch einer ein Buch falsch einräume, bringe sie ihn um, allgemeines Gelächter, der war gut! Spätestens Ende der Woche wäre alles wieder in heillosem Durcheinander. Katharina setzte sich eine Schutzbrille auf und machte ein chemisches Experiment. Bach für E-Gitarren war eigentlich eine Frechheit, es grenzte an Blasphemie, aber was sollte man machen. Schon wieder die Nachbarin. Dass man die Katze nicht vergäße, zweimal füttern und morgens einfach rauslassen. Was müssen, fragte sich der Vater, Auge in Auge mit einem kraushaarigen Kopffüßer, was müssen sich die Kinderlosen denn Viecher anschaffen? Ein Leben mit Geschöpfen auf dem kontinuierlichen Stand von Zweijährigen, füttern, Katzenklo reinigen, rauslassen oder Gassi gehen, auf der Hundewiese tollen, Stöckchen werfen, wieso taten sich Leute das
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