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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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der Werkstatt, ölend in irgendeinem Möbel, aber wer weiß, vielleicht war da drin die Decke heruntergekommen, als er einen weiteren Hirsch aufhängte, eine Nackige annagelte, er wollte ihm eine Chance geben, nicht inmitten einer solchen Kalamität angetroffen zu werden, er wollte ihm Gelegenheit geben, den Kopf aus dem Geröll und Staub zu befreien, ein paar Brocken beiseitezuwerfen und zu rufen, passt mir grad schlecht, oder: Gib mir fünf Minuten! Oder, würde man ihn hinter der Tür leise murmeln hören, fünf Stunden, er wollte ihm die Möglichkeit geben, an die Tür zu kommen und sie schleunigst hinter sich zuzuziehen, damit er das Desaster nicht sah. Aber er war nicht da oder es war zu spät, er ging hinein.
    Hier stapelte sich alles, was Sydow im Dachboden ausgegraben und noch nicht seiner letztendlichen Verwendung zugeführt hatte. Entweder das oder der Requisiteur war vollends übergeschnappt. Tanzende Schäferinnen aus Meißen und ihre tändelnden Arbeitskollegen, gerollte Teppiche, stapelweise angegilbte Leintücher und Tischwäsche, riesige Schinken in prunkvollen Rahmen, wahlweise ölgemalt oder aquarelliert weitere Hirsche, biblische Szenen und schlafende Frauen in allen erdenklichen Graden der Entkleidung. Stanjic stieg darüber hinweg, nahm eines der Bilder hoch, Endstadium, vermutlich war sie, während sie in ihren Schlafanzug stieg, vor Erschöpfung eingeschlafen, viel zu anstrengend.
    Im Zimmer war es windig, es bauschte die Vorhänge und regnete wacker aufs Fensterbrett, den Fußboden, als wär es in diesem Haus nicht schon feucht genug. Er legte das Bild aufs Bett, er würde es nachher mit zu sich nehmen, er fand es inspirierend.
    Er schob ein paar gestapelte Stühle aus dem Weg und ging die Fenster schließen. Im Hof unten sah er Sydow einen Tisch einseifen, es regnete in Strömen. Verrückt. Er schaute ihm eine Weile dabei zu. Dann machte er die Fenster wieder auf, na!, rief er, Sydow schaute sich um, strich sich die nassen Haare aus der Stirn, Stanjic winkte ihm zu, Sydow irrte mit den Augen suchend über die Hausfront, die vielen Fenster, wischte über ihn hinweg, kehrte um und hatte ihn entdeckt, er winkte zurück.
    Wann gibts Essen, rief Stanjic hinunter, Sydow legte die Hand ans Ohr.
    Stanjic formte mit beiden Händen einen Trichter, Essen!, rief er.
    Sydow schirmte sein Gesicht gegen den Regen ab, jetzt?
    Nein, wann, wann es Essen gibt, rief Stanjic, er zog die Schultern hoch bis zu den Ohren und machte den Italiener, non lo so! Ich weiß von nichts, er deutete auf die nicht vorhandene Uhr an seinem Handgelenk.
    Sydow schob den Ärmel hoch, schaute auf sein leeres Handgelenk, schien zu überlegen, um sechs?, rief er.
    Stanjic hielt den Daumen hoch und schloss das Fenster.
    Bloß, wann war es sechs? Er legte sich quer übers Bett und angelte sich den Wecker vom Nachttisch, halb fünf.
    Bequemes Bett. Er federte ein bisschen nach, das Bett hing kaum durch, Sydow hatte es sich natürlich sofort unter den Nagel gerissen. Stanjic legte den Kopf aufs Kissen, schloss für einen Moment die Augen. Stünde hier nicht so viel Gerümpel, könnte er einfach umziehen. Aber das würde ihn energetisch zerrütten, Feng-Shui-technisch war das hier eine Katastrophe.
    Das Feng-Shui antwortet auf die meisten Fragen mit Ausmisten. Das Geld will einfach nicht zu Ihnen kommen? Kein Wunder, Sie haben Gerümpel unter dem Bett. Plunder auf den Schränken? Er ist wie ein Problem, das über Ihnen schwebt, Sie können nicht mehr denken, häufige Kopfschmerzen sind sehr wahrscheinlich. Krempel hinter der Tür blockiert den Energiefluss zu Ihrem Leben.
    In seinem Bauch murrte ein kleiner Hunger. Wer kochte eigentlich? Er rollte über das Bett und ging noch einmal zum Fenster, öffnete es und rief, du oder ich?
    Es schüttete immer gewaltiger, Sydow legte die Hand ans Ohr, Stanjic deutete auf ihn, auf sich, rührte in einem Topf und zuckte wieder die Achseln, Sydow nickte, du, rief er herauf.
    Er machte das Fenster zu und holte ein Handtuch aus dem gegenüberliegenden Bad, trocknete die Lachen von den Dielen und hängte es über ein paar Stuhlbeine. Er suchte Sydows Schal und fand ihn nicht. Er sah einen Korb voller Zinnsoldaten, eine mineralogische Sammlung, er sichtete einen ausgestopften kleinen Dackel mit mottenzerfressenem Fell, eine Waschschüssel mit einem Fleißigen Lieschen, ein Spinnrad und mehrere Stehlampen mit gläsernen Schirmen, stapelweise Bücher, die Sydow vermutlich eher wegen der Optik aufzustellen

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