Schwätzen und Schlachten
nicht, ob es daran lag, dass er ausgehungert war und schon zu lange allein oder ob es was mit dem Alter zu tun hatte. Vielleicht lag es an allem zusammen.
Seither bemühte er sich, die Kontrolle zu wahren, umrundete sorgsam den Salon und versuchte, sich in den Griff zu kriegen, aber er kriegte sich nicht in den Griff.
Er ging den Korridor entlang, klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Wände, sanft rieselte der Verputz, er hätte sich gerne irgendwohin verräumt.
Im blauen Zimmer saß eine Horde Kinder um einen korpulenten Onkel, lauschte mit betroffenen Gesichtern. Stanjic schaute durch den Spalt in der Tür, öffnete sie ein wenig weiter.
Da hatte , las der Onkel vor, da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann. Die Zwerglein, wie sie abends nach Hause kamen –
Stanjic zog die Tür wieder zu, hatte er ein neidisches Herz?
Er hatte ein verliebtes Herz, er hatte ein gequältes Herz, aber neidisch?
Ja. Er hatte ein neidisches Herz. Was sollte er dagegen tun? Was tun mit einem neidischen Herzen? Würde er enden wie die böse Königin? Endeten so die neidischen Herzen, würde er gehen müssen, um sie zu sehen auf ihrer Hochzeit, musste er sich das geben? Vielleicht. Vielleicht war das so. Vielleicht würden auch für ihn schon glühende Schuhe bereitstehen und er würde tanzen müssen, bis er tot zur Erde fiele. Er würde tanzen müssen und dabei konnte er gar nicht tanzen, das war ja das Schlimme.
Er lehnte sich mit dem Rücken zur Wand, schloss die Augen. Er hörte das monotone Auf und Ab des Märchengemurmels, er hörte das Klappern aus der Küche, das ganze Haus schnaufte und hob und senkte sich, in allen Zimmern war ein stetes Gebastle und Gewerke, dort faltete ein Dutzend Sydows verträumte Origamis, dort bestaunten ein paar picklige Jugendliche die artistischen Handgriffe eines ehemaligen Taschendiebs, manche gingen spazieren. Er wusste nicht, wohin mit sich.
Die Tür zum blauen Herrenzimmer ging auf, die Horde Kinder rannte heraus, er drückte sich gegen die Wand. Sie rannten an ihm vorbei, rannten im Pulk die Treppe hinauf, verschwanden in den oberen Gefilden, weg waren sie.
Er hatte ein neidisches Herz. Er fand keine Ruhe. Die Eifersucht. Die Eifersucht hatte ihn fest in der Mangel, räumte beständig alles in ihm herum, als wäre Ordnung die Lösung. Die Eifersucht war es, die ihm die Unruhe machte, die schwere See, sollte er Holz hacken?
Ja. Er hatte ein neidisches Herz und würde Holz hacken, bis er es wieder auf Sendung gebracht hatte, bis es wieder seiner eigentlichen Bestimmung und Aufgabe nachkam: pumpen. Neidische Herzen sind Herzen mit zu wenig Aufgaben, der Müßiggang hat schon immer unsere niedrigsten Impulse hervorgebracht. Die Herzen, sie brauchen das Tätigsein wie alle anderen auch, manche wurden sonst fett, seines wurde neidisch. Die Herzen, sie würden gerne der Liebe frönen, kann schon sein, es war das, wonach es sie am allermeisten verlangte, aber bekommt man immer, wonach man begehrt? Nein. Sein Herz würde gerne lieben und musste Holz hacken, so war das.
103. Das Herz wird überschätzt
Stanjic hackte Holz, er war nicht gut darin.
Sicher, man konnte nicht in allem gut sein. Aber grad so? Er brauchte ewig lange, um ein einziges Scheit zu spalten, entweder fiel es vom Hackstock, bevor er draufhaute, oder er haute daneben. Lag es vielleicht am Gerät? Er betrachtete die Axt, war sie krumm und schief? Nein. Es musste an ihm liegen. Er musste die Sache männlicher angehen, sicher war er einfach zu schüchtern, ein gewisser Mangel an Selbstvertrauen, er stand sich selbst im Weg. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, stützte sich auf die Axt und schaute hinaus. Der Schopf war zu seiner Stirnseite hin vollständig offen, man stand überdacht im Freien, der stete Regen trappelte behände auf dem Blechdach, es gefiel ihm hier. Das Wasser stand in tiefen Pfützen zwischen den Steinquadern im Hof, Unkraut wogte darin, sanft wie Algen, er roch den Rauch aus dem Schornstein.
Er zog den Pullover und das Hemd aus, alles war schweißnass, er hängte die Sachen über einen Balken. Holz hacken konnte nicht so schwer sein. Holz gehackt wurde seit Jahrtausenden, Holz hacken war quasi Kulturgut, vermutlich schon längst eingeschrieben in den menschlichen Gencode, jeder Trottel konnte Holz hacken. Er würde das jetzt üben. Er stellte einen neuen Klotz vor sich auf den Hackstock, nahm ihn in Augenschein, er würde sich zum Holzhackspezialisten
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