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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Stunden gewartet, dann wurde er müde und ging schlafen. Der Schüttelvers, vermutlich zu delikat, blieb unerwähnt, ebenso wie der Titel des Buches und das musikalische Repertoire der Warteschlaufe, Stanjic tippte auf die Vier Jahreszeiten. Neben dem Artikel prangte – wie sollte es in dieser Zeitung anders sein – die Annonce der Fluggesellschaft: Laissez-vous aller la vache en avion! Was er sich Pi mal Daumen mit: Nur fliegen ist schöner! übersetzte. Stimmt.
    – werden Sie doch nie wieder, psalmodierte Frau Sydow, als junger Hüpfer kann man so was machen, man rennt und springt, taucht und flitzt, so ein paar Kuchenstücke arbeitet man da locker wieder runter. Aber einmal über dreißig und alles setzt an und, voilá, dann haben wir die Plauze, wollen Sie das.
    Stanjic schaute sich nach Onkel Dagobert um, er werkelte am Ende des Tresens, tauschte, auf einer Stehleiter elegisch wankend, eine kaputte Birne aus. Keiner da also, um ihm den Quack zu machen, er blätterte um, nahm alles zusammen, was er finden konnte, Mut, Chuzpe, und ließ die Kuh fliegen und sagte gemächlich: Lass stecken, Mimi.
    Das sagte er, er, David Stanjic, und es mag Männer geben, für die ist das ein Pappenstiel, für ihn aber war es ein Meilenstein in seiner Entwicklung, es war immerhin eine Meile und es war Entwicklung.
    Frau Sydow ließ stecken, machte den Mund zu und warf den Entrunzler an, es hat ein alter Mensch sowieso schon Falten genug und die Hände in den Hüften ist keine Yogaübung. Keine Yogaübung und für das Qi gänzlich irrelevant, das wusste sie natürlich nicht, was interessierte sich eine Auguste von Sydow für indische Heilslehren, war sie vielleicht in der Krise? Nein, es sah aber einfach nicht gut aus, es sah das Hände-in-die-Hüften-Stemmen aus nach dem miesepetrigen Betrachten eines verhagelten Ackers und wo sollte das hier sein, es sah aus nach Gardinenpredigt und Standpauke und das waren beides Worte, würde Frederik hilfsbereit anmerken, die sagt heute kein Mensch mehr.
    Frau Sydow hatte stecken gelassen, sie marschierte ab und machte irgendwas, was putzen oder was verräumen, und eine Meile ist eben andererseits auch nur eine Meile und Stanjic hatte natürlich ein schlechtes Gewissen, da musste er jetzt durch. Leute wie er hatten ständig ein schlechtes Gewissen und zumeist ist das ja völlig für die Katz.
    Irgendwann, dessen war er sich jetzt sicher, irgendwann würde er einen Meilenstein machen und das schlechte Gewissen wäre weg. Irgendwann würde er es sogar schaffen, nicht zu viel Kuchen mit Schlagobers dafür essen zu müssen. Derzeit schaffte er seine autonomen Kinderschritte eben nur so: kindisch, das ist, wenn man dringend allerlei Phasen des Aufwachsens aufzuholen hat, leider nicht zu vermeiden. Er würde womöglich gehörig vorwärtskommen in seiner psychischen Entwicklung und das für eine gewisse Zeit mit einer Plauze bezahlen, so what. Er würde sie auch wieder wegentwickeln.
    Später holte Stanjic noch einmal Glasers Text hervor, las hie und da ein paar Absätze und versuchte, sich das alles sozusagen zu übersetzen.
     
    Wie dick ist Glasers Text eigentlich zu dem Zeitpunkt, fragte mein Lektor, verstehe ich das richtig: Er hat das Zeug bei Simon auf dem Rechner gefunden, jeden Tag kam ein Stück dazu, aber wie viel hatte sich denn bis dahin angesammelt.
    Etwa 60 Seiten, sagte ich. Das ist das, was er bisher davon hat. Wenn es ihm gelingt, des Restes davon habhaft zu werden, sind es insgesamt etwa 110 Seiten. Wie du wüsstest, wenn du es gelesen –
    Olaf schaute mich unerschütterlich an, eine ganz wichtige Kompetenz meines Berufes ist es, sagte er, die Spreu vom Weizen zu trennen. Er deutete auf mein Notizbuch, vielleicht notierst du dir das, für den geplanten Lektorenroman. Spreu, wiederholte er eindringlich, vom Weizen. Ganz wichtig.
     
    David Stanjic dachte sich: wenn ein Wort ausstirbt. Gibt es dann auch das nicht mehr, was es einst bezeichnete? Werden keine Gardinenpredigten mehr gehalten und drum muss auch keiner mehr es so nennen? Und umgekehrt: was einer sagt. Macht er es dadurch wahr und wird es wirklich? Er dachte an das Wort, mit dem alles begann. Er dachte an die ersten Tage der Welt, des Himmels und der Erde, die ersten Tage der Menschheit. Er dachte an Gott. Er dachte: Wer ist wie Gott?
    Das musste er sofort herausfinden.
    Sag, sagte er zu Onkel Dagobert, der kalkulierend an ihm vorbeiging, sag, Onkel Dagobert, wer ist wie Gott?
    Onkel Dagobert schaute von seinem

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