Schwätzen und Schlachten
Rechenblock auf, Michael, sagte er. Dann rechnete er weiter.
Michael? Stanjic schaute verdattert in die Binsen, Michael?
Er hatte, als ich ihn später dazu befragte, angegeben, dass er zu dem Zeitpunkt nicht das Geringste damit anzufangen wusste. Er kannte keinen Michael. Er dachte nicht im Entferntesten daran, dass es um einen Michael gehen könnte. So verdreht, sagte er zu mir, denkt kein Mensch.
Stimmt. So verdreht denkt nur einer, der ist wie Gott.
49. Müssen wir wirklich so viel Auto fahren?
Es sah nicht so aus, als würde Sydow hier heute noch aufkreuzen, und so verabschiedete er sich von Frau Sydow, nickte brav zu ihren ausführlichen Ratschlägen und versprach, sich zu bessern, in allem.
Beim Hinausgehen warf er einen Blick auf sein Mobiltelefon und prompt fiel ihm der verbaselte Probentermin ein. Er lehnte sich an sein Auto, und während er sich die Nachricht von Sydow anhörte, betrachtete er das völlig verbeulte und zerdellte blaue Auto auf dem Parkplatz neben sich, ganz offensichtlich Opfer von zahlreichen Unfällen. Er ließ seinen Blick über die Karosserie wandern und las, was auf der Autotür stand: Dr. Alexander Schicketanz. Rechtsanwalt. Beratung bei Verkehrsunfällen.
Na bravo, murmelte er. Er klappte das Telefon zusammen und schloss sein Auto wieder zu. Er würde lieber den öffentlichen Verkehr nehmen. Jemanden wie Dr. Schicketanz wollte er im Zweifelsfall nicht zu Beratungszwecken heranziehen müssen und ihm schien so, als könnte er heute noch in einen solchen Zweifelsfall verwickelt werden, er fühlte sich eindeutig unfallgefährdet. Die Unfallgefährdung begänne wahrscheinlich schon beim Ausparken. Dr. Schicketanz forderte es ja geradezu heraus, dass ihm jemand weitere Beulen und Kratzer zufügte, eng hatte er sich mit seiner blauen Autoschnauze an Stanjics Heck gekuschelt, nie im Leben würde er da wieder herauskommen. Er würde sein Auto ein andermal mitnehmen, wenn Dr. Schicketanz unterwegs war in Beratungsdingen bei Verkehrsunfällen, in die er vermutlich alle verwickelt war.
Er stieg hinab in die Maulwurfgänge der Stadt und fuhr erst mal zum Alexanderplatz. Von da aus fand er überallhin, es war, er wunderte sich selbst darüber, es war der Fernsehturm zu seiner Dorfkirche geworden, zu seinem Dom im Stadtzentrum, von hier aus traute er sich zu, diesen restlichen Riesenleib zu bezwingen. Er rief bei der Auskunft an, hörte Grieg und fuhr, zufrieden durch den Abend schaukelnd, nach Hause.
50. Ein heimlicher Besuch
Er hatte nach seinem Umzug im vergangenen Sommer noch immer Simons Schlüssel, einfach vergessen, ihn zurückzugeben, und kam in den folgenden Tagen einmal vorbei, um die restlichen Sachen zu holen.
Was denn für Sachen holen, fragte mein Lektor ratlos.
Fall doch nicht auf alles herein, sagte ich, er wollte sich natürlich umschauen, sehen, ob er nicht in Simons Computer kommt, ob er unter Simons Papieren das ein oder andere finden würde, oder auch sonst, er dachte, er sollte sich mal ein bisschen umschauen.
Simon war zufälligerweise nicht da. Nein, er wusste zufälligerweise, dass Simon nicht da sein würde, er hatte ihn zufällig beobachtet, wie er aus dem Haus ging, er hatte zufällig auf der anderen Seite im Blumenladen ausführlich mit Frau Heese geplaudert und hatte dann zufällig gesehen, wie Glaser das Haus verließ.
Er war dann wie zufällig hinübergeschlendert und da war er nun, er zog die Tür hinter sich ins Schloss und tat sich ein wenig um.
Als er eben dabei war, diese Apparatur in Gang zu bringen, klingelte das Telefon. Er zögerte einen Moment. Sollte er abnehmen? Wieso auch nicht, jedes Steinchen konnte wichtig sein für dieses Puzzle. Er hatte das Gefühl, das hier war ein Puzzle und er war kein besonders guter Puzzler, er hatte nicht einmal eine Verpackung, wo das vollständige Bild zu sehen war, damit man es nachpuzzeln konnte, er hatte rein gar nichts, nur einen Haufen Puzzlestückchen und vielleicht klingelte hier einer durch, der von irgendwas eine Ahnung hatte, vielleicht klingelte gerade ein Puzzlestück an, das er dringend brauchte. Er ging ins Wohnzimmer und suchte das Telefon, zog es an der langen Schnur unter dem Sofa hervor.
51. Noch kurz zum Multitasking
Ja hallo?, sagte er in die Sprechmuschel, wer spricht bitte?
Hallo? Bist dus?
Hallo?
Hallo hallo? Sydow schüttelte am anderen Ende den Hörer, klemmte ihn wieder an die Schulter, hallohallo?
Ja, sagte Stanjic entnervt, hallo.
Simon? Du klingst so komisch.
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