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Schwanentanz

Schwanentanz

Titel: Schwanentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Francis
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Ort bei lebendigem Leib verrotten.
    „Die Leute hier sind alt“, bestätigte Liz, als hätte sie ihren Gedanken gelauscht. „Die schaffen es nicht mehr, alles in Schuss zu halten. Die jungen Leute wandern ab und so verfällt der Ort mit der Zeit. Erst letzten Winter ist der alte Patrick gestorben. Der war unser Steinmetz. Die Grabsteine müssen wir jetzt im Nachbarort holen, aber das ist nicht so schlimm. Schade ist’s um die Skulpturen, die der gemacht hat. Sein Sohn hat sein Talent nicht geerbt, aber die Enkeltochter, die kann’s noch besser. Arbeitet aber in Dublin, nicht hier bei uns. Und nun steht seine Werkstatt leer.“
    „Und keiner will herziehen? Ist ja kaum zu glauben.“ Suzanna balancierte einen Stapel Lebensmittel auf dem Arm und türmte Butter und Joghurts obendrauf. Ihrem ersten Eindruck zum Trotz schien Liz eine geschwätzige Person zu sein. Ob es klug war, sie zum Erzählen zu animieren? Andererseits war gegen etwas Smalltalk nichts einzuwenden, selbst wenn man Einsamkeit suchte.
    „Das“, erklärte Liz, plötzlich sehr leise geworden, „liegt an Denen.“
    „An denen? Wer soll das sein?“
    „Na, Sie wissen schon. Die Guten Nachbarn.“
    Suzanna lud ihre Einkäufe auf die Theke. „Wegen der Nachbarn zieht keiner her? Oh, ich glaub, ich weiß, wen sie meinen. Möglich, dass ich denen schon begegnet bin. Heute Morgen stand glatt der erste Nachbar in meinem Garten und echauffierte sich darüber, dass ich mich mit der Botanik nicht auskenne.“
    Liz schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Ach, das war bestimmt bloß der alte Alec. Beschwert sich schon mal, wenn man die Sträucher nicht richtig schneidet oder zur falschen Zeit Zwiebeln setzt. Der Kerl ist’n bisschen zurück, aber harmlos. Harte Schale, weicher Kern. Der kann mit Bäumen einfach besser als mit Leuten. Sieht jaselbst schon aus wie’n Waldschrat.“
    Eigenartig, als alt hätte sie den Mann nun nicht bezeichnet. Ebenso wenig als Waldschrat. Gut, der Haarschnitt nach dem Modell Wildwuchs war reichlich ungepflegt und die vernarbte Lippe sah schaurig aus. Aber das ärmelfreie Hemd hatte die muskulösen Oberarme eines sportlichen jungen Mannes zu erkennen gegeben. Auf diese gewisse rebellische Weise war er gar nicht so furchtbar unattraktiv gewesen, musste sie sich eingestehen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, sprach Liz bereits weiter.
    „Ich meine die Guten Nachbarn. Woher kommen Sie, aus der Stadt oder vom Mond? Sie werden doch von den Guten Nachbarn gehört haben! Dem Volk Von-Hinter-Den-Hügeln, den Anderen, den …“
    „Feen?“ Suzanna presste rasch die Lippen zusammen, um nicht laut aufzulachen. Sie wollte Liz nicht beleidigen, aber das war lächerlich.
    „Nicht doch!“ Liz fuchtelte mit beiden Händen, als hätte sie sich verbrannt. Teigbröckchen flogen durch die Luft. „So darf man sie nicht nennen, niemals. Das mögen sie nicht.“
    Ach so – klar. Die wollte sie doch zum Deppen machen. Oder diese Feenmärchen zählten hier zum besonderen Touristen-Service. Für das ultimative Irland-Feeling. Nasse Socken durch verregnete Wiesen? Ach was, das galt hier als gesundheitsförderndes Fußbad im Elfentau.
    „Ich hätte ja gedacht, dass Fee… ähm, Gute Nachbarn eher Leute herlocken würden“, meinte sie, um eine neutrale Stimme bemüht. „Die will bestimmt jeder mal zu Gesicht kriegen, oder?“
    Liz ließ sich nicht irritieren. „Stimmt schon, stimmt. Aber Neugier tötet die Katze, wissen Sie? Manche bereuen es bitter. Und fast alle kriegen’s mit der Angst zu tun, wenn sie’s einmal erlebt haben. Sie zeigen sich hier auch nicht, die Guten Nachbarn. Wobei es genau genommen nur eine ist, die hier lebt. So sagt man jedenfalls. Von daher haben Sie auch nichts zu befürchten, Suzanna. Oder sind Sie Mutter?“ Suzanna schüttelte den Kopf und die Bäckerin senkte die Stimme. „Gut. Sie holt sich nämlich nur Kinder. Kleine Jungs.“
    Nicht, dass Suzanna ein Wort geglaubt hätte. Trotzdem rieselte ein Schauder ihren Rücken hinab. Liz schien das verräterische Zucken ihrer Schultern bemerkt zu haben, sie nickte wissend. „Ja, unheimlich, nicht wahr? Die Polizei hat immer jede Menge Erklärungen, wenn wieder ein Bengel verschwunden ist, aber wir wissen es besser. In unserer Familie wurd noch nie ein Kind geraubt, und wissen Sie auch, wieso? Weil wir die Guten Nachbarn kennen. Meine Jungs spielen ganz unbedarft hier im Dorf, muss mir keine Sorgen um sie machen. Es gibt nämlich Mittel und Wege, sie von der Wiege

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