Schwanentanz
Waltzing Matilda, begann zum zwanzigsten Mal. Mindestens.
Suzanna liebte den Song, vielleicht auch deswegen, weil ihr Vater ihn vorgesungen hatte, solange sie klein war und er sie in innigen Momenten bis heute Matilda nannte. Das Lied war ein Stück der Heimat, die sie nie gehabt hatte, da sie mit ihren Eltern schon als Kind permanent von einem Ort zum anderen gezogen war. Auch ihre Mutter war Ballerina gewesen.
Die Musik beruhigte Suzanna, konnte ihr sogar das Putzen versüßen. Wie gut, dass sie ihren CD-Player mitgenommen hatte.
Sie wusch sich die Hände in der Spüle und zog das Kopftuch hinunter, das ihre Haare vor Staub und Spinnweben geschützt hatte. Dann ließ sie ihren Blick durch die Küche schweifen. Sie war in Ordnung. Nicht viel mehr, denn das Haus war und blieb uralt, aber durchaus hinnehmbar. Nur diese dicke Spinne bekam sie nicht hinauskomplimentiert, denn kaum näherte sie sich mit einem Glas und Pappe, um sie einzufangen, rannte das verrückte Insekt los. Die Geschwindigkeit wäre nicht so schlimm gewesen, das vernehmliche Trappeln der Beinchen aufdem Holz dafür umso mehr. Grausig! Doch solange Suzanna die Spinne in Ruhe ließ, trappelte diese auch nicht, sondern hockte mit reichlich Sicherheitsabstand in einer Ecke. Sollte sie eben bleiben, wo sie war. Suzanna taufte die Spinne Charlotte, nach einer früheren Mitbewohnerin, die ebenso viele Haare auf den Beinen hatte.
Zumindest, stellte sie mit einem Seufzen fest, war die Küche nun halbwegs sauber. Zeit, sich endlich mit einem Kaffee und einem Frühstück am frühen Nachmittag zu belohnen. Ihr Magen knurrte seit Stunden, aber in dem Drecksloch hätte sie unmöglich essen können. Nachdem sie die Kaffeemaschine gestartet und zwei Scheiben Brot abgeschnitten und mit Schinken belegt hatte, ließ sie sich am Tisch nieder. Die neuste Ausgabe der DANCER lag vor ihr. Sie hatte sie auf dem Weg nach Irland gekauft, aber bisher nur das Cover angestarrt. Ihr eigenes Gesicht, eingerahmt von einer aufwendigen Flechtfrisur in glänzendem Schwarz, lächelte ihr entgegen. Lächeln Nummer zwei: Nicht das strahlende Bühnenlächeln Nummer eins, das selbst der halb blinde Zuschauer in der letzten Reihe noch erkennen musste; sondern das schüchterne, zurückhaltende. Das Lächeln mit der Aussage: Nein, ich kann kaum glauben, es bis hierher geschafft zu haben, und ja, ich bin allen schrecklich dankbar, hier sein zu dürfen. Das Lächeln, das verbarg, wie viel Knochenarbeit hinter dem Erfolg steckte. Sie sah genauer hin. Hatte der Fotograf diese winzigen Fältchen in ihren Augenwinkeln wegretuschiert? Sah ganz danach aus. So eine Frechheit, die waren doch wirklich nicht der Rede wert. Sie blätterte durch die Seiten, suchte nach dem Interview.
Ein Klopfen unterbrach sie. Zuerst dachte sie, sich verhört zu haben. Hatte ein Zweig an die Fassade geschlagen? Doch dann klopfte es erneut, dreimal knapp hintereinander. Wie ein Specht. Sie ging zur Tür, öffnete und musste beim Anblick ihres Besuchers die Zähne zusammenbeißen, damit ihr nicht die Kinnlade runterfiel. Vor ihr stand der Öko. Oje. Hatte sie ein Gänseblümchen zertreten?
Aber so unverzeihlich schien ihre Umweltsünde nicht gewesen zu sein, denn unter seinen Zottelhaaren lächelte er. Vielleicht ein wenig gezwungen, was an der vernarbten Lippe liegen konnte, aber es wirkte nicht unfreundlich. Er zog die Hand hinter dem Rücken hervor und hielt ihr einen abgeknickten Fliederzweig hin.
„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte er. Auch wenn er nicht brüllte, klang seine Stimme ein wenig rau. Als würde er oft brüllen. „Wegen heute Morgen.“
„Das dachte ich mir.“ Hm, das war nicht sehr geistreich. Sie nahm den Flieder an. „Schon in Ordnung … wenn Sie es nicht wieder tun. Ist der Flieder aus meinem Garten?“
Er zuckte mit einer Schulter. „Sicher.“
„Ah. Sie dürfen also Pflanzen in meinem Garten pflücken?“
„Sie haben es mir nicht verboten, oder?“
Sie atmete durch, zwang Freundlichkeit in ihre Züge, die er definitiv nicht verdiente. „Es wäre mir ehrlich gesagt lieber, Sie würden sich ganz von diesem Grundstück fernhalten.“
In seinem Gesicht veränderte sich etwas, aber dieser unmöglichen Haare wegen konnte sie das schwer einschätzen. „Ich meine, Sie dürfen gerne klopfen und … und so weiter. Wie man das unter Nachbarn so tut. Aber nicht in meinem Garten herumlungern. Okay?“
„Okay.“ Erneutes Schulterzucken. „Darf ich denn reinkommen?“
Warum hatte
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