Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Strafe für seine Sauferei. Wenn Anna es erfahren würde, wäre er geliefert, und all der Kummer und Ärger wäre umsonst gewesen.
Er seufzte und stellte sich vor den Spiegelschrank, um sich die Zähne zu putzen. Er betrachtete sich. Die grauen Schläfen,
die Falten um seine dunklen Augen, die slawischen Gesichtszüge. Ein Schönling war er nie gewesen.
Er öffnete den Schrank, holte Zahnbürste und Zahnpasta heraus.
Was hatte sie in ihm gesehen, diese Bella? Irgendwann gestern Abend hatte er sich gefragt, ob sie womöglich aus Mitleid mit
ihm ins Bett ging, aber er war zu erregt gewesen und zu verdammt dankbar für ihre sanfte Stimme, ihre großen Brüste und ihren
Mund. Mein Gott, dieser Mund! Münder machten ihn an, und genau da lag die Wurzel des Übels. Nein, alles hatte mit Lize Beekman
angefangen, aber das sollte er mal Anna erzählen.
Scheiße.
Bennie Griessel putzte sich hastig die Zähne, ging unter die Dusche und drehte die Hähne weit auf, um die verräterischen Gerüche
gründlich abzuwaschen.
Sie war kein Bergie. Griessel fuhr ein kurzer Stich durchs Herz, als er über die Spitzen des Friedhofszauns kletterte und
das Mädchen dort liegen sah. Die Sportschuhe, die |275| Khakishorts, das orangefarbene Trainingshemd sowie die Form ihrer Arme und Beine verrieten, dass sie noch jung war. Sie erinnerte
ihn an seine Tochter.
Er ging den schmalen geteerten Weg hinauf, vorbei an hohen Palmen, Tannen und einem gelben Schild:
FÜR UNBEFUGTE ZUTRITT VERBOTEN. PARKEN AUF EIGENE GEFAHR.
Und auf diesem Weg lag sie dann, links neben der Kirche.
Er blickte hinauf zu dem traumhaften, klaren Morgenhimmel. Es war fast windstill, nur eine leichte Brise trug Meeresgerüche
den Berg hinauf. Das war keine Zeit zum Sterben.
Vusi stand neben ihr, zusammen mit Dick und Doof von der Spurensicherung, einem Polizeifotografen und drei Uniformierten.
Hinter Griessels Rücken, in der schmalen Nebenstraße der Langstraat, warteten weitere uniformierte Kollegen, mindestens vier,
in den weißen Hemden und schwarzen Epauletten der Metro-Polizei, alle gleichermaßen von ihrer Wichtigkeit durchdrungen. Zusammen
mit einer Gruppe Schaulustiger lehnten sie mit den Armen auf dem Zaun und betrachteten die reglose Gestalt.
»Morgen, Bennie«, sagte Vusi Ndabeni in seiner ruhigen Art. Er war mittelgroß, ebenso wie Griessel, wirkte aber kleiner: schmal
und korrekt, mit scharfen Bügelfalten in der schwarzen Hose, schneeweißem Hemd mit Krawatte und gewichsten Schuhen. Sein wolliges
Haar war kurz und eckig geschnitten, der Spitzbart tadellos gestutzt. Er trug dünne Gummihandschuhe. Griessel war ihm am vergangenen
Donnerstag zum ersten Mal begegnet, ebenso wie den anderen fünf Fahndern, für die er ab jetzt ein Jahr lang den |276| Mentor spielen sollte. Dieser Begriff stammte von John Afrika, dem Distrikt-Kommissaris »Fahndung und Verbrechensaufklärung«.
Als Bennie allein in dessen Büro in der Alfredstraat zurückgeblieben war, hatte er erklärt: »Wir sitzen in der Scheiße, Bennie.
Wir haben den Lotz-Fall vermasselt, und jetzt behauptet der Führungsstab, wir ließen am Kap die Zügel schleifen und sollten
uns mal zusammenreißen. Aber was soll ich tun? Ich verliere meine besten Leute, und die neuen wissen noch nichts, die sind
noch völlig ungeschliffen. Kann ich auf dich zählen, Bennie?«
Eine Stunde später, als ihnen im großen Konferenzraum des Kommissaris sechs der besten »neuen« Leute mit unbewegter Miene
auf grauen Behördenstühlen gegenübersaßen, formulierte John Afrika sein Anliegen ein wenig dezenter: »Bennie wird euer Mentor
sein. Er arbeitet seit fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei. Er war schon beim ehemaligen Mord- und Raubdezernat, als die
meisten von euch noch zur Grundschule gegangen sind. Was er schon vergessen hat, müsst ihr noch lernen. Aber damit ihr mich
richtig versteht: Er ist nicht dazu da, euch die Arbeit abzunehmen. Er ist euer Berater, der euch hilft und für Fragen zur
Verfügung steht. Euer Mentor. Laut Wörterbuch ist ein Mentor …« An dieser Stelle zog der Kommissaris seine Notizen zu Rate,
»…
ein kluger und vertrauenswürdiger Ratgeber oder Lehrer
. Deswegen habe ich ihn zur provinzialen Sondereinheit versetzt. Bennie kennt sich aus. Ihr könnt ihm vertrauen, denn ich
vertraue ihm. Ständig geht Wissen durch den Verlust altgedienter Kollegen verloren, und viele Neuzugänge strömen herein, die
noch keinerlei Erfahrung haben.
Weitere Kostenlose Bücher