Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
hatte und weiterhin befehlen wollte? Auch die Linkspartei hätte ihre Argumentation wesentlich überzeugender und der Realität angemessener präsentieren können, hätten ihre Abgeordneten mit einer Hand die Plakate afghanischer Opfer und mit der anderen die Plakate deutscher Gefallener hochgehalten. Denn darum ging es ihr doch wohl: zu beklagen, wie viele Leben dieser Einsatz inzwischen gefordert hatte.
Die anderen Parteien verhielten sich anlässlich dieser für die Soldaten so wichtigen Entscheidung allerdings nicht viel besser. Erschreckend war, dass gerade sie, die den Einsatz ja angeordnet hatten, immer noch vor der Öffentlichkeit und auch bei dieser Parlamentsdebatte wieder so taten, als ginge es in Afghanistan für die Bundeswehr um Brunnenbau und Schulrenovierungen, um einen humanitären Einsatz, zu dem man auch das Technische Hilfswerk hätte schicken können. Allenfalls der Aufbau oder die Mithilfe bei der Ausbildung dortiger Polizei und Sicherheitskräfte sowie die Mission der deutschen Ärzte und Sanitäter zur medizinischen Versorgung der einheimischen Bevölkerung wurden erwähnt und als Aufgaben unserer Streitkräfte gewürdigt. Von Krieg, von Toten, von Gewalt und Waffen, von Gefallenen und Verwundeten – egal, auf welcher Seite – wagte kein einziger Redner dieser Bundestagsparteien zu berichten. Auch bei den Befürwortern des Einsatzes wurde so die Realität schöngefärbt, wurde den Soldaten, die tagtäglich ihr Leben inmitten von Gewalt riskieren müssen, nicht die erforderliche und verdiente Anerkennung ausgesprochen.
Für die Soldaten, die diese Debatte im Parlament und vor dem Fernsehgerät verfolgten, stellten sich während der Bundestagssitzung viele Fragen: Sind das die Leute, die uns in den Einsatz geschickt haben? Riskieren wir für diese Auftraggeber immer wieder unser Leben? Wie kann es sein, dass solche Volksvertreter im deutschen Parlament sitzen und über unsere Existenz entscheiden, wenn sie offensichtlich die Folgen ihres eigenen Einsatzbefehls nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder zumindest nicht offen darüber zu sprechen wagen?
Nicht besser ist das Bild, das unsere Abgeordneten in der aktuellen Debatte über das Ende des Afghanistan-Einsatzes abgeben. Die immer wieder zur Schau gestellte Uneinigkeit selbst zwischen Mitgliedern der Regierungsfraktionen mag man noch unter dem Schlagwort demokratischer Debatte durchgehen lassen, ungewöhnlich ist sie allemal, denn die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz könnte leicht für Klarheit sorgen – und so den Soldaten die wichtigste Frage beantworten, die sie augenblicklich mehr als alles andere bewegt: Wann beginnt der Abzug, wann ist Schluss damit?
Das bestehende Mandat für Afghanistan sieht eine Obergrenze von 5000 Soldaten vor und eine flexible Reserve von 350 zusätzlichen Soldaten. Diese bisher nicht eingesetzte Reserve soll in Deutschland bereitstehen und nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden. Die USA mit ihrem ISAF -Oberkommandierenden US -General David Petraeus wünschen allerdings, dass diese Reserve zur Ausbildung der afghanischen Armee nach Afghanistan entsandt wird. Damit wächst der Druck auf die deutsche Bundesregierung, die Truppen noch einige Jahre im Einsatzland zu lassen. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle will nach seinen Aussagen Ende 2011 die ersten Truppen aus Afghanistan abziehen. Der deutsche Verteidigungsminister zu Guttenberg sah das weniger optimistisch und mochte sich zu einem exakten Abzugstermin seinerzeit nicht äußern. Die Bundeskanzlerin sagte in einem Interview am 19. Dezember 2010 im afghanischen Kundus zu Journalisten, dass die Bundesregierung einen Rückzug der Truppen für den Zeitraum 2011/2012 in Erwägung ziehe, aber nur, wenn die aktuelle Lage dies zulasse. Alle drei Genannten waren bekanntermaßen Mitglieder derselben Regierung, doch irgendeine Geradlinigkeit und Eindeutigkeit, die für Soldaten im Einsatz so wichtig sind, ist nicht zu erkennen.
Auch die Bürger dürfen weiter gespannt abwarten, da das Afghanistan-Mandat am 28. Februar 2011 endete, aber durch den Deutschen Bundestag für ein weiteres Jahr verlängert wurde. Eine Erhöhung der Zahl der Soldaten steht zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Debatte, aber die Oppositionsparteien haben bereits im Vorfeld ihre Ansprüche deutlich gemacht. Sozialdemokraten und Grüne wollten einer Mandatsverlängerung nur zustimmen, wenn die deutschen Truppen mit dem Abzug im Jahr 2011 beginnen. Die Linke blieb
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