Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
widerspenstigen Erzbischof Stigand abzusetzen. Eine Hand wusch die andere, Krieg hatte sich als nützliches Mittel der Kirchenpolitik erwiesen, auch innerkirchliche Gegner des Papsttums mussten zukünftig damit rechnen, Ziel eines mit dem Beistand und im Auftrag des Papstes geführten Militärschlags zu werden.
Türkengefahr und Sittenverfall
Während die Christenheit am Südrand der Pyrenäen erste militärische Erfolge gegen die islamischen Mauren erzielte, tauchte im Osten ein weit aus Asien kommendes Volk auf, nahm den islamischen Glauben an und stellte eine ernste Bedrohung für Byzanz dar. Auch wenn die Kirche mit den Orthodoxen inzwischen im Streit lag, ihre christlichen Seelen mussten doch gerettet werden. Es überrascht nicht, dass Papst Gregor VII . ( 1073 – 1085 ) sofort daranging, das von seinem Amtsvorgänger neu entdeckte Mittel des Kreuzzugs einzusetzen. Er wollte dem von den türkischen Seldschuken zunehmend bedrängten Kaiserreich von Konstantinopel mit einem Interventionsheer zu Hilfe kommen. Dazu sollte in einem »Deal« zwischen Papst und byzantinischem Kaiser die Wiedervereinigung der orthodoxen mit der katholischen Kirche ausgehandelt werden. Gregor VII . konnte diese Absicht jedoch aus vielerlei Gründen nicht verwirklichen. Erst sein übernächster Nachfolger, Papst Urban II . ( 1088 – 1099 ), sollte das Projekt wieder aufgreifen.
An dieser Stelle muss kurz ein anderer Entwicklungsstrang beleuchtet werden, der mit der Entstehung der kriegerischen Kirche zusammenhängt. Die beiden Päpste, denen wir in diesem Kapitel bisher begegnet sind, Alexander II . und Gregor VII ., gelten heute als »Reformpäpste«. Diese Einschätzung beruht nicht auf ihrer Militanz; tatsächlich entstand im 11 . Jahrhundert eine kräftige Reformbewegung in der Kirche, angeleitet von Mönchen reformierter Benediktinerabteien unter dem Abt Hugo von Cluny und anderen gelehrten Geistlichen, etwa Kardinal Humbert von Silva Candida und Petrus Damiani. Sie waren mit dem Zustand der Kirche unzufrieden, sie schien ihnen kein brauchbares Instrument mehr, das Evangelium zu verkünden. Angestrebt wurde eine Erneuerung im Sinn der Urkirche der ersten Christen, deren Wiederherstellung, was Reform im ursprünglichen Sinn des Wortes ja bedeutet. Was davon ernst gemeint und was nur Frömmelei war, um nackte Machtpolitik zu kaschieren, sei dahingestellt, für den Gang der Dinge spielte das keine Rolle.
Als besonderes Hindernis wurde empfunden, dass der Stand der niederen Geistlichen, also die einfachen Pfarrer und Mönche, im Allgemeinen ungebildet war, unmoralisch lebte und die geistliche Stellung schlicht zur Finanzierung eines Lotterlebens missbrauchte. Petrus Damiani hatte über den Sittenverfall der Geistlichkeit schon 1049 ein Buch geschrieben, das Liber Gomorrhianus (»Buch von Gomorrha«). Darin enthalten ist auch der ganze Katalog der Vorwürfe, denen sich eine Anzahl Geistlicher heute ausgesetzt sieht. Als Rezept gegen diese Auswüchse betrachteten die Kirchenreformer zunächst die strikte Durchsetzung des Zölibats. Der Geistliche sollte ausschließlich der Kirche gehören, ihr gegenüber loyal sein und sich nicht um die Versorgung einer Familie kümmern müssen. Daher hielt man es für konsequent, dass eine Frau, die trotz des Verbots von einem Geistlichen geheiratet worden war, sowie die von dem Geistlichen gezeugten Kinder automatisch zu unfreien Hörigen der Kirche erklärt wurden. Damit waren diese Kinder von der Besetzung kirchlicher Ämter ausgeschlossen. Auch der Kauf von geistlichen Ämtern, die sogenannte Simonie, wurde jetzt schwer bestraft. Geistliche Ämter durften keinesfalls an ungeweihte Laien vergeben werden, eine Praxis, die vor allem weltliche Herren gern geübt hatten.
Die Kirche wurde ganz auf den Papst ausgerichtet, und der päpstliche Hof auf dem Lateranhügel in Rom in eine kirchliche Zentralbehörde umgestaltet. Den römischen Anspruch, Bischofssitze unabhängig vom Kaiser und anderen weltlichen Machthabern vergeben zu können und auch die Wahl eines neuen Papstes selbst autonom regeln zu dürfen, hatte Gregor VII . in seinem Dictatus Papae (»Brief des Papstes)« formuliert. Der Papst wurde in diesem Dokument aus dem Jahr 1075 erstmals zur obersten Lehr- und Rechtsprechungsgewalt der Kirche erklärt, dem sich alle Bischöfe unterzuordnen hatten. Mit solchen internen Regeln begnügte sich Gregor VII . aber nicht. In seiner Schrift formuliert er klar und deutlich, dass der Papst
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