Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Zeit gewachsenen Strukturen geprägt. Sie sind zwar nicht völlig unveränderlich, aber sie haben ein zähes Leben und jede Veränderung kostet Kraft und vor allem Zeit. Der aktuelle Skandal wird in seinen Gründen nur verstanden, wenn er auf diese Strukturen zurückgeführt wird, ohne diese Einsicht ist jede Veränderung unmöglich. Es geht in diesem Buch darum, die Strukturen zu verstehen, die Kirche heute bestimmen. Das geht, das wurde schon gesagt, nicht ohne Rückgriffe auf deren Geschichte. Die Identität der Kirche, ja die katholische Identität ist endgültig in den Kreuzzügen des Mittelalters entstanden. Da beginnen wir zu fragen: Wie viel vom alten Kreuzzugsgeist lebt heute noch in der Kirche? Was davon belastet heute das Verhältnis zum Islam? Warum eigentlich gibt es aus Rom so unklare Ansagen zum Thema Juden? Weshalb macht der Papst bei indigenen Völkern in Südamerika eine schlechte Figur? Wieso sieht die Kirche jahrzehntelang weg, wenn Priester Kinder sexuell missbrauchen, und deckt die Täter? Warum verletzt der Vatikan im Umgang mit Geld fundamentale ethische Prinzipien? Welche Seilschaften besitzen tatsächlich die Macht im Vatikan? Wie aufrichtig ist Rom im Umgang mit wundersüchtigen und teufelsfürchtigen Menschen? Was ist der Kirche die Freiheit des Einzelnen in Glaubensfragen wirklich wert? Und warum steht die Kirche mit allem, was die liberale Gesellschaft ausmacht, mit allen Errungenschaften der Moderne auf Kriegsfuß? Nach diesem Fragenkatalog, in Kirchensprache: nach diesem Beichtspiegel, werden die Sünden der Kirche im Folgenden geordnet und besichtigt, welchen Versuchungen sie erlegen ist.
Gegner des Christentums und Feinde der Kirche werden sich bestätigt sehen, werden sich an neuen, bisher unbekannten Variationen kirchlicher Sünde delektieren und weiden. Wie Kardinal Cordes schreibt: »Wohl niemand wird bestreiten, dass uns das Böse fasziniert.« Genauso muss ich als Autor bekennen, dass die Beschreibung von Skandalen, Gräueln und Verbrechen eine gewisse Faszination bereitet, vergleichbar jener, die beim Betrachten von Höllenbildern Brueghels entsteht. Aber das ist nicht das eigentliche Anliegen dieses Buches. Es geht wesentlich darum, Klage zu führen, auch wenn diese Klage mit sardonischem Lächeln vorgetragen wird. In dieser Klage mögen sich vielleicht Mit-Leidende erkennen und ihre eigenen Klagen formuliert finden. Und es geht auch darum, nach den letzten Skandalen die Enttäuschung derjenigen, die sich Kirche anders vorstellen, vollkommen zu machen. Denn die schwere Last, der Rucksack voll Schuld, den die Kirche sich – und damit jedem Gläubigen – aufgebürdet hat, muss in vollem Umfang begriffen werden, anders ist ein wahrhaftiges Verhältnis der Glaubenden zur Kirche und ihr aufrechter Gang in einer nichtkirchlich bestimmten Umgebung nicht zu haben.
Dies ist kein Buch für Romantiker, die sich die Kirche schönmachen wollen mit Weihrauch und lateinischem Gemurmel oder sie auf pfingstliche Gemeinschaftserlebnisse mit lila Halstuch und Gitarre reduzieren und so die eben auch schreckliche Realität der una sancta ecclesia, »der einen und heiligen Kirche«, wie sie sich nennt, verdrängen. Und ganz bestimmt ist dies kein Buch für diejenigen, die Beschwichtigen, Verniedlichen und Vertuschen für fromme Werke halten. Eines sei noch gesagt: Wenn hier »Kirche« oder »die Kirche« steht, so bezieht sich das nur auf die Katholische Kirche, deren Oberhaupt der Papst in Rom ist, nicht auf das Christentum an sich oder auf andere Konfessionen. Fangen wir also an, wo es anfängt …
1.
Der heilige Krieg –
Kreuzzüge als Mittel der Kirchenpolitik
Auch Nichtchristen wissen gewöhnlich, dass die christliche Ethik vom Prinzip der Nächstenliebe, sogar der Feindesliebe, geprägt ist. Einschlägige Erzählungen aus dem Evangelium unterstreichen die Präferenz der Gewaltlosigkeit. Ein gutes Beispiel ist die Verhaftung Jesu im Garten Getsemani durch die Büttel des Hohepriesters, um ihn zu Gericht zu führen. Jesus wehrt sich nicht, doch der Apostel Petrus will ihn mit dem Schwert verteidigen und schlägt auf einen der Gerichtsknechte ein. Aber Jesus verbietet das: »Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.« Und dann heilte Jesus den von Petrus verletzten Malchus auch noch. Diese eindrucksvolle Lektion, die Jesus damit seinen Anhängern erteilt hatte, geriet jedoch im Lauf der Zeit
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