Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
Eselsohren. Als er anfängt, darin zu blättern, klappt das Buch von selber fast in der Mitte auf, wo er zwischen den Seiten eine sorgsam gepresste schwarze Blume findet.
Eine Weile starrt er darauf. Den Ansturm der Gefühle kann er unmöglich beschreiben, denn er weiß genau, was er vor sich hat. Sie ist als Blume zurückgekehrt. Am allerliebsten würde er das Buch wegwerfen, doch er weiß, das bringt er nicht über sich – das, was sein alter Freund ihm da gerade übergeben hat, grenzt an einen heiligen Pakt. Ab jetzt wacht er über diese gefährliche Geschichte, sie wurde ihm anvertraut. Und so klappt er das Buch nur sachte zu und blickt auf das nächtliche Glasquadrat über sich.
Eine Kette.
Er wird endlich eine Kette an die Tür montieren.
Oben angekommen, bleibt er, bevor er das Wohnzimmer betritt, einen Moment stehen. Was soll er Laura erzählen? Sein Instinkt sagt ihm, dass er ihr nichts von dieser Sache sagen sollte, auch wenn er ihr nicht verschweigen kann, dass Robert an der Tür war; er will sie nicht mehr da reinziehen als unbedingt nötig. Mit dem Buch und der Blume wird das nicht einfach werden.
»Dad?«
Neil, der aus dem dunklen Flur weiter hinten ruft. Er zögert einen Moment, dann wendet er sich um und geht zu seinem Sohn.
Im Kinderzimmer macht er nicht die Deckenlampe an, sondern tritt an die Stehlampe mit den Fransen und dem gedämpfteren Licht. Er sieht darin seinen Sohn mit verängstigtem Gesicht im Bett sitzen. Er spürt die vertraute Woge der Liebe zu dem Jungen und weiß, dass die Sicherheit seiner Familie die Schuldgefühle wert ist, die es ihm bereitet, seinen alten Freund im Stich zu lassen.
»Hey«, sagt er leise. »Was gibt’s?«
»Ich hab ein Geräusch gehört.«
»Da war nichts, glaub mir.«
»Ich hab Angst.«
Das sieht er. Neil hat oft nachts im Dunkeln Angst, wenn alles still ist. Vielleicht ist er inzwischen zu groß dafür, aber ist irgendjemand zu groß, um Angst zu haben?
Er setzt sich auf den Stuhl neben dem Bett.
»Dir kann nichts passieren«, sagt er. »Es gibt nichts, wovor du Angst haben müsstest. Mum und ich würden niemals zulassen, dass dir etwas passiert.«
Neil wirkt nicht ganz überzeugt. Doch obwohl er immer noch Angst vor der Dunkelheit hat, ist er schon klug genug, um solche tröstenden Worte für bare Münze zu nehmen. Nur zu seiner eigenen Beruhigung korrigiert sich Christopher in Gedanken. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit dir nichts zustößt. Alles.
»Soll ich dir ein bisschen vorlesen?«, fragt er.
Neil nickt.
Also, gut.
Ohne nachzudenken, schiebt er die Tragetasche unter das Bett seines Sohnes. Er wird sich später überlegen, was er damit macht. Für den Moment schlägt er ein Bein über das andere, lehnt sich auf dem Stuhl zurück und überlegt. Sie lesen gerade in einem Buch, doch danach steht ihm im Moment nicht der Sinn.
Es fällt ihm schwer, an irgendetwas anderes als Robert zu denken. Sein alter Freund ist ihm jetzt tief ins Unterbewusstsein gedrungen, und er weiß, dass er, egal, was kommt, eines Tages über ihn schreiben wird. Es ist unvermeidbar. Er wird über die wahre Geschichte schreiben, die sein Freund gestohlen hat, den Roman, den er daraus gemacht hat, und welche Wirkung er auf unterschiedliche Menschen hatte. Noch nicht, aber irgendwann einmal. Wenn er das Gefühl hat, dass es sicher ist.
Und bis dahin … nun ja.
Im Moment sind nur sie beide da.
Christopher beugt sich, in einer fast verschwörerischen Geste, näher an seinen Sohn heran.
»Dies ist nicht die Geschichte von einem kleinen Mädchen, das verschwindet«, fängt er an, »sondern die Geschichte von einem kleinen Mädchen, das zurückkommt.«
33
W as ganz am Ende auf dem Bauernhof passiert ist, habe ich nur noch schemenhaft in Erinnerung, und das ist wohl auch gut so. Später im Krankenhaus hat mich die Polizei immer wieder gefragt, wie ich das Gehöft gefunden hätte, und ich konnte immer nur wieder sagen, dass ich der Karte meines Vaters gefolgt war – dem Kreuzchen, das auf dem Straßenatlas eingezeichnet war –, doch zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie er es gefunden hatte. Erst später, als ich nach und nach erfuhr, was andere herausbekommen hatten, konnte ich mir allmählich einen Reim darauf machen.
Der alte Mann, Cartwright, erlitt einen zweiten Herzinfarkt und starb im Krankenhaus, doch die arme Lorraine Haggerty hatte der Polizei, zusammen mit den drei auf dem Hof geborenen Kindern, eine Menge
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