Schwarze Piste
halbvollen Wodkaflasche wieder hervor. »Trinkt Ihre Tochter?«
»Nein. Die versteckt das Zeug vor mir. Aufmachen.«
Kreuthner drehte den Verschluss auf, wozu Nora Immerknecht selbst nicht mehr in der Lage war, der Tremor setzte ihr schon arg zu. Sie nahm die Flasche mit beiden Händen, wobei sie die Pistole weiter umfasst hielt, und trank mehrere Schlucke. Danach schien es ihr besserzugehen. Kreuthner sah interessiert zu.
»Glotz nicht so. Noch nie ’ne Frau trinken sehen?«
»Glauben Sie mir: Mit Trinken kenn ich mich aus.«
Von draußen rief Mike: »Ist alles in Ordnung, Leo?«
»Ja, ja«, rief Kreuthner zurück. »Ich regel das. Net nervös werden.«
Kreuthner hatte sich aufs Bett gesetzt, Nora Immerknecht fläzte im Schreibtischstuhl ihrer Tochter. Sie sagten eine Weile nichts. Sie trank. Er sah ihr zu. Schließlich reichte sie Kreuthner die Flasche. Er nahm einen Schluck, dann noch einen, dann reichte er sie zurück.
»Was soll das?« Kreuthner deutete auf die Pistole.
»Ich verteidige mein Haus.«
»Wir müssen ermitteln, wer Ihren Mann umgebracht hat. Und dazu müssen wir in Ihr Haus.«
»Seh ich grundlegend anders.« Sie trank. Und als sie die Flasche absetzte, begann ihr Kinn zu zittern. Sie weinte. Erst sachte, eine Träne aus jedem Auge, dann floss es ohne Halten, ihr Körper zuckte, und sie vergrub ihr nasses Gesicht in den Händen. Die Pistole ließ sie trotzdem nicht los. Kreuthner sah an ihr vorbei zur Wand, wo neben Leas Schreibtisch eine Straßenkarte des Landkreises hing. Weinende Frauen machten ihn hilflos. Er räusperte sich und vermied Blickkontakt, was unnötig war. Nora Immerknecht war in ihrer eigenen Schmerzenswelt versunken und schien nichts mehr wahrzunehmen.
»Krieg ich noch an Schluck?«, sagte Kreuthner nach einer Weile, um irgendwas zu sagen und weil er gern noch einen Schluck haben wollte. Die Flasche wanderte zu Kreuthner. »Wissen Sie, wer Ihren Mann umgebracht hat?«, fragte er und bediente sich aus der Flasche.
Nora Immerknechts Tränen versiegten, ihr verhangener Blick heftete sich an Kreuthners Schirmmütze. »Keine Ahnung. Ich hab die letzten Jahre nichts mehr mitgekriegt. Ich hab Jörg gar nicht mehr gekannt.« Sie verschränkte die Arme, als sei ihr mit einem Mal schrecklich kalt geworden. »Unsere Ehe gab’s eigentlich nicht mehr. Jetzt ist er tot. Und meine Tochter verachtet mich.« Sie versuchte, sarkastisch zu lachen, aber nicht einmal das wollte ihr noch gelingen. »So kann’s enden. Wir wollten die Welt verändern. Ja, echt. Wackersdorf. Mann, da war was los. Warst du da auch?«
»War vor meiner Zeit.«
»Vielleicht hätten wir uns da getroffen, und du hättst mir deinen Gummiknüppel auf die Nase gehauen.«
»Gut möglich. Ich war aber net da.«
»Okay, du warst nicht da. Aber macht’s einen Unterschied?«
Kreuthner zuckte die Schultern. Er verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Der Alkohol hatte ihr offenbar vollständig den Verstand benebelt.
»Das macht alles keinen Unterschied. Jetzt nicht mehr. Und weißt du was? Ich hab’s verbockt. Mach’s gut, Bulle. Ich verpiss mich.«
Sie hob die Pistole, und einen Moment hatte es den Anschein, als wolle sie auf Kreuthner zielen. Doch der Lauf wanderte weiter nach oben und fand schließlich den Weg in ihren Mund.
Kreuthner überlegte kurz, ob er das ernst nehmen sollte. »Was soll denn das! Hören S’ auf mit dem Scheiß. Und hören S’ mit der Sauferei auf.«
Nora Immerknecht schien überrascht, nahm die Pistole aus ihrem Mund und lachte heiser. »
Sie
sagen, ich soll mit dem Saufen aufhören? Ich glaub’s nicht!« Sie schüttelte den Kopf, lachte, begann, während sie lachte, wieder zu weinen, und zog den Rotz hoch.
»Ja, okay. Ich sauf selber. Ich hab aber auch keinen Grund aufzuhören.«
»Ich vielleicht?«
»Sie haben a Kind.«
»Klar. Sie würden aufhören, wenn Sie ein Kind hätten!«
»Ja, das tät ich. Keinen Tropfen würd ich mehr trinken. Ich schwör’s Ihnen.«
Sie sah ihn mit glasigen Augen an und rülpste leise.
»Na ja – vielleicht doch. Was weiß ich!« Er stand auf und schlenderte zum Schreibtisch. Kreuthner betrachtete die Karte des Landkreises, die ihm schon vorher aufgefallen war. »Aber versuchen würd ich’s«, sagte er zu der Frau, die in seinem Rücken saß und eine Pistole in der Hand hielt. »Jeden Tag. Jeden g’schissenen Tag!«
Er hörte hinter sich die Pistole zu Boden fallen und drehte sich um. Sie hatte die Flasche wieder an sich genommen.
»Die
Weitere Kostenlose Bücher