Schwarze Piste
öffnete inzwischen geräuschvoll sämtliche Küchenschränke.
»Wo hast du denn die Brille zuletzt gehabt?«, fragte Vera.
»Ich hab mir an Orangensaft aus dem Kühlschrank genommen. Da hab ich auf die Packung geschaut, ob er noch gut ist.«
»Und? War er noch gut?«
»Nein. Abgelaufen. Ich hab ihn trotzdem getrunken.«
»Das heißt, da hast du deine Brille noch aufgehabt?« Manfred zuckte mit den Schultern, Vera öffnete den Kühlschrank. Dort neben einer Wurstpackung lag Manfreds Brille. Vera sah sich kurz um, ob Frau Burger das mitbekommen hatte. Hatte sie.
»Wieso tust denn du meine Brille in den Kühlschrank?«, fragte Manfred seine Schwiegerenkelin.
»Ich glaube, die hast du selber da reingetan.«
»Ich? Jetzt wird’s aber hint höher wie vorn! Die hat mir jemand gestohlen und dann in den Kühlschrank gelegt. Damit ich mir die Ohrwascheln verkühl. Des is ja ausg’schamt!«
Frau Burger senkte die Stimme und raunte Wallner zu: »Sagten Sie, Ihr Großvater hat bis jetzt auf Katja aufgepasst? Ich meine, war er alleine mit dem Kind?«
Wallner bekam langsam, aber sicher einen dicken Hals. »Entschuldigen Sie mich«, sagte er zu Frau Burger. Und: »Kommst du mal bitte!« zu Manfred.
»Was soll das Theater?«, stellte Wallner seinen Großvater im Wohnzimmer zur Rede. »Mit Alzheimer macht man keine Späße.«
»Des war auch kein Spaß. Des war a ernsthafter Test.«
»Wie bitte?«
»Ja, willst du die Katze im Sack kaufen? Mir müssen doch wissen, wie die sich anstellt, wenn’s mal dahingeht mit mir. Sagst ja selber, dass es schon losgeht bei mir im Kopf.«
»Ach komm. Das hab ich doch nicht gemeint.«
»Natürlich hast es gemeint. Und vielleicht hab ich’s ja schon. Wie der Froscheder. Die letzten drei Jahre hat der ganz schlimm abgebaut. Und dann schaut das so aus wie bei mir eben.«
»Hast du die Brille absichtlich in den Kühlschrank gelegt?«
»Des war super, oder?«
»Ja, toll. Frau Burger glaubt jetzt, wir lassen Katja den ganzen Tag mit meinem dementen Großvater alleine. Ich kann froh sein, wenn sie nicht das Jugendamt einschaltet.«
»Tut mir leid. Ich erklär’s ihr.«
»Ah ja? Bin echt gespannt.«
Frau Burger setzte ein Krankenschwesternlächeln auf, als Manfred in die Küche zurückkam.
»Frau Burger, ich muss Ihnen was sagen«, begann Manfred und versuchte, großen Ernst in seine Stimme zu legen. »Es ist nämlich so: Ich hab gar keinen Alzheimer.«
»Aber natürlich nicht«, sagte Frau Burger und half Manfred, auf dem Küchenstuhl Platz zu nehmen. »Das hat doch keiner gesagt.« Sie sah in Erwartung einer Bestätigung zu Wallner und Vera. Wallner widerstand der Versuchung, sich einzumischen. Die Suppe hatte sich Manfred eingebrockt. Sollte er schauen, wie er aus der Sache rauskam.
»Ich glaub aber schon, Sie glauben das.«
»Aber nein doch. Und jetzt beruhigen Sie sich erst mal wieder. Es ist immer ein bisschen aufregend, wenn fremde Leute ins Haus kommen, nicht wahr?« Frau Burger nahm Manfreds Hand und tätschelte sie.
»Sagen mir mal so: Ich bin kurz davor, dass ich mich aufreg!« Manfred klang gereizt. Wallner machte hinter Frau Burgers Rücken eine beschwichtigende Geste in seine Richtung. »Was ich sagen will, ist …«, Manfred versuchte, seiner Verärgerung Herr zu werden. »Ich hab die Brille mit Fleiß in den Kühlschrank gelegt, verstehen S’? Damit’s so ausschaut, wie wenn ich Alzheimer hätt. Ich hab aber gar keinen.«
»Ah! Sie tun die Brille absichtlich in den Kühlschrank!«
»Net immer. Aber heute. Nur heute.«
»Natürlich. Ich wollte auch gar nicht sagen, dass Ihnen das immer passiert.«
»Also noch mal: Ich bin net blöd im Kopf. Ich glaub auch nicht, dass Sie mit mir verwandt sind. Und der da ist mein Enkel, der Clemens, und seine Frau, die Vera. Das weiß ich alles. Verstehen S’?«
»Das kenne ich von meiner Mutter«, sagte Frau Burger zu Wallner und hielt immer noch Manfreds Hand. »Zwischendurch ist alles ganz klar. Diese Momente werden leider immer seltener. Nutzen Sie sie.«
»Herrschaft, jetzt reicht’s aber!« Manfred entzog Frau Burger seine Hand. »Ich hab keinen Alzheimer. Ich hab nur so getan! Geht des net in Ihr Hirn?«
»Es gibt keinen Grund, aggressiv zu werden, Herr Wallner.« Sie wandte sich wieder an den jungen Wallner. »Meine Mutter war zum Schluss leider auch sehr aggressiv.«
»Mein Großvater ist wirklich nicht dement.« Wallner fühlte sich bemüßigt, endlich Stellung zu beziehen. »Er hat das alles nur
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