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Schwarze Piste

Schwarze Piste

Titel: Schwarze Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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Angehörigen Todesnachrichten zu überbringen und sie im Anschluss daran psychologisch zu betreuen. Ein KIT bestand aus geschulten ehrenamtlichen Kräften und wurde vor allem eingesetzt, wenn es um den Tod von Kindern, Eltern, Ehegatten oder Verbrechensopfern ging. Mike verwies Wallner auf eine Frau von etwa fünfzig Jahren, die bei einem der Streifenwagen stand. Sie hieß Veronika Keller und war schon seit einigen Jahren im Einsatz.
    »Sie war erst apathisch, als ich ihr gesagt hab, dass ihr Mann verstorben ist«, erzählte die Frau. »Dann hat sie angefangen zu weinen. Sehr heftig. Aber das ist normal in so einer Situation. Ich hab ihr angeboten zu reden. Aber sie wollte nicht reden. Sie hat mich gebeten zu gehen. War nix zu machen. Ich kann die Leut net zwingen.«
    »Hat sie was getrunken?«
    »Nicht, solang ich da war. Aber sie hatte schon was intus. Das hat man gerochen. Und da stand ein Glas rum mit irgendwas drin. Ich glaub, Whisky. Fragen Sie die Tochter.«
    »Ach, da gibt es noch eine Tochter?« Wallner bahnte sich seinen Weg durch die Beamten, die teilweise darauf warteten, das Haus zu durchsuchen, teilweise hier waren, um Ordnung zu wahren, denn halb Otterfing war gekommen, um das Spektakel zu genießen. Janette fragte, ob sie ein SEK anfordern solle. Wallner verneinte. Er wollte sich zunächst ein Bild von der Frau machen, die im ersten Stock hinter dem Fenster lauerte.
    Es war kurz nach vier, und die Dämmerung brach herein. Am Himmel waren dunkelgraue Wolken, und es fing ganz sachte zu schneien an. Mit einem Mal schien das belagerte Haus zu zucken und verwandelte sich innerhalb einer Sekunde in einen mit Sternen übergossenen Palast. Die Weihnachtsbeleuchtung hatte sich eingeschaltet, und alle konnten sehen, dass der Hausherr nicht gespart hatte. Die verschwenderische Pracht, mit der die Lichterketten um Türen, Fenster und Balkone gelegt worden waren und sich in rauschenden Kaskaden vom Dach des Hauses in den verschneiten Garten ergossen, war ehrfurchtgebietend und ließ keinen der Anwesenden unberührt. Auch Wallner verharrte einen Augenblick in kindlichem Staunen. Dann bestieg er den Polizeitransporter, in dem Lea Immerknecht von Tina und Oliver betreut wurde.
    Lea war vierzehn Jahre alt. Ihren Augen sah man an, dass sie geweint hatte, ansonsten war ihr Verhalten beherrscht. Wallner stellte sich vor, bekundete ihr sein Beileid und fragte, ob sie in der Lage sei, ihm Fragen zu beantworten. Lea nickte.
    »Wie viel hat deine Mutter getrunken?«
    »Eine Flasche Whisky, nachdem die Leute weg waren.«
    »Die vom Kriseninterventionsteam?«
    »Ja.«
    »Ich nehme an, sie verträgt einiges.«
    »Ja«, sagte Lea, und man konnte sehen, dass sie wütend auf ihre Mutter war, weil sie sich für sie schämen und der Polizei von ihren Trinkgewohnheiten berichten musste.
    »Weißt du, wie lange sie schon trinkt?«
    »Seit ich in der Schule bin, hat sie vormittags nichts mehr zu tun und trinkt.«
    »Das ist wahrscheinlich sehr schwer für dich.«
    »Ich bin ein ganz normaler Co-Alkoholiker«, sagte Lea, als sei sie ihre eigene Therapeutin, und sah Wallner erschöpft an. »Ich versteck das Zeug, ich achte drauf, dass keine Leute ins Haus kommen, wenn sie betrunken ist, ich versuche, ihre Sucht geheim zu halten, so gut es geht, und ich tue ihr gegenüber, als wäre nichts.«
    Wallner sagte erst mal nichts und versuchte, sich in das Mädchen hineinzuversetzen. Lea gestand sich anscheinend nicht zu, um ihren Vater zu trauern, weil einer in der Familie funktionieren musste. Die Coolness, die sie jetzt an den Tag legte, würde irgendwann in einem Zusammenbruch enden.
    »Okay. Dann sag mir, wie wir das hier beenden, ohne dass Blut fließt.«
    »Gute Idee. Bis jetzt hat mich nämlich noch keiner gefragt. Die wollten mich alle nur verarzten.«
    »Du wirst Hilfe nötig haben, auch wenn es im Augenblick nicht danach aussieht. Aber solange du noch nicht zusammengebrochen bist, sag uns, was wir tun müssen.«
    »Warten«, sagte Lea.
    »Worauf?«
    »Ich hab das Bad von außen abgeschlossen. Sie kann also nicht raus und sich mit Alkohol versorgen. In ein paar Stunden ist sie auf Entzug. Dann macht sie alles für ein Glas Whisky.«
    Wallner inspizierte die Lage rund um das Haus und wog die Folgen von Leas Rat ab. Möglicherweise beschäftigte er ein halbes Dutzend Beamte für einen halben Tag, bis Frau Immerknecht aufgab. Außerdem mussten die Häuser in der Schusslinie evakuiert werden. Andererseits war das ein geringes Opfer, wenn

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