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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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waren Militärs, ich habe ihren Wagen gehört.«
    Als er sich wieder dem Tisch zuwandte, stand einer der Männer auf und streckte ihm steif eine Hand entgegen.
    »Herr Vu Van Oanh?« Ly war erleichtert zu sehen, dass sein Gesicht nicht gerötet war. Er trank als einziger Tee.
    »Können wir irgendwo in Ruhe reden? Am Wasser?«
    Der alte Mann deutete sein Nicken nur an und ging schweigend und mit schlurfenden Schritten voran, den Rücken weit nach vorne gebeugt.
    »Herr Vu, Sie wissen, dass gestern im Tempelhof eine tote Frau aufgefunden wurde. Ich würde mich gerne mit Ihnen über diese Frau unterhalten.«
    Der Mann schwieg. Seine Augen waren auf nichts Bestimmtes fokussiert. Ly wusste aus Erfahrung, dass man sich mit Menschen seiner Generation besonders viel Zeit nehmen musste. Direkte Fragen mochten sie nicht. Ihr Misstrauen gegen einen Staat, der alles überwacht, reglementiert und jedes Vergehen hart bestraft, saß tief.
    »Herr Vu, Sie sind der Straßenwart hier. Sie wissen doch, was die Leute so reden. Kannte vielleicht irgendjemand die Tote?«
    Ly war sich sicher, dass die Anwohner, die er in der Nacht zuvor am Tatort angetroffen hatte, sich alle die Leiche angeschaut hatten, bevor er eingetroffen war.
    »Herr Vu, bitte, ich brauche Ihre Hilfe.«
    Neben ihnen fachte jemand mit Schnaps ein Opferfeuer an und fütterte es mit falschen Geldscheinen. Per Rauchpost ab in den Himmel.
    Herr Vus Blick haftete weiter im Nichts.
    Ly wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Er wartete einen Moment, dann sprach er ihn erneut an. Immer noch kam keine Antwort. Es war zwecklos. Der Alte war zu stur, oder vielleicht war er auch einfach senil.
    Mit zwei Händen, wie es die Höflichkeit einem Älteren gegenüber gebot, reichte Ly ihm seine Visitenkarte. »Herr Vu, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an.« Doch Herr Vu griff nicht einmal nach der Karte. Ly seufzte und hatte sich schon abgewandt, da begann Herr Vu zu reden.
    »Die Fallschirmjäger hatten uns ins Kreuzfeuer genommen. Das war in Nam Dinh. Wir lagen in den Feldern am Kanal, Soldaten, Bauern, Frauen, Kinder, die Alten. Auf dem Wasser trieben bäuchlings und rücklings Leichen, verkohlte und aufgequollene Kadaver. Der Tod war überall, er kam namenlos, schwemmte die Menschen einfach weg. Ich erhielt den Befehl durch mein Funkgerät. Ich sollte den Kanal überqueren. Es gab kein Boot, also schwamm ich. Doch ich blieb stecken, zwischen den Leichen, den Leichen von Frauen und Kindern. Wie eine Brücke lagen sie da. Und ich benutzte sie, ich trat auf die Toten, fühlte das weiche, aufgedunsene Fleisch unter den dünnen Sohlen meiner Schuhe. Ich fühle es noch immer. Bei jedem Schritt, den ich mache. Und da sah ich sie. Sie starrte mich an. Ihr Kopf ragte aus dem Wasser, grau wie Baumrinde. Ganz langsam trieb sie an mir vorbei, gleich einer Boje. Und sie sah mich an. Es vergeht keine Nacht, dass sie mich nicht aufweckt. Ich werde ihren Blick nicht los.«
    Ly wusste nicht, was er sagen sollte. Er war es nicht gewohnt, dass jemand vom Krieg erzählte. Nicht auf diese Weise. Krieg war noch immer eine Welt der Helden. Er betrachtete Vus Gesicht. Seine Augen waren eingezwängt zwischen tiefen Falten, so als habe er sie ein Leben lang zusammengekniffen. Misstrauisch oder einfach wegen der Sonne. Vermutlich beides.
    »Keine Angst, nur Verzweiflung. Und Wut. Sie hatten denselben Ausdruck wie die Augen der Toten, die sie heute Morgen hier aus dem Hof getragen haben. Denselben Ausdruck. Was hat der Frieden für einen Sinn, wenn wir nicht anständig leben?« Den letzten Satz sagte er vollerBitterkeit. Ly hatte das Gefühl, der alte Mann wollte noch etwas sagen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf.
    Sie gingen zum Tempel hinüber. Herr Vu schob Ly vor sich her in den ersten Altarraum. Nach der Sonne draußen war es hier so düster, dass Ly nichts sehen konnte. Die Luft war dick von Staub und Weihrauch und erfüllt von Wispern und leierndem Gesumm. Nur langsam gewöhnten sich Lys Augen an das Dunkel. Vor den Altären standen Gläubige und beteten, sich hin und her wiegend, die Handflächen flach aneinandergepresst und in sich gekehrt. Andere hasteten umher und stellten vor den Altären ihre Tabletts mit Opfergaben ab. Der Kult der Lieu Hanh, die im Tay-Ho-Tempel verehrt wurde, war dem Taoismus zugeordnet.
    Wie in den meisten Familien wurde auch bei Ly zu Hause seit eh und je die Verschmelzung von Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus

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