Schwarze Schmetterlinge
zeigt, dass der Turm für das steht, was gerade passiert. Wenn Sie die Gefühle in Ihrem Innern nicht herauslassen, dann wird das in einer Katastrophe enden. Die Kraft, die Sie einschließen, kann großen Schaden anrichten, es handelt sich um sehr starke Emotionen.« Elaine machte eine Pause und sah zu der Frau vor ihr, um eine Reaktion zu erkennen. Aber ihr Gesicht war genauso verschlossen wie vorher. »In Ihrer Vergangenheit sehe ich diese Karte: ein Körper, von zehn Schwertern durchbohrt. Sie haben es sehr schwer gehabt. Sind tief und ernsthaft verletzt und gekränkt worden … Sie waren in der Hölle.«
Zum ersten Mal konnte Elaine eine Veränderung auf dem Gesicht der Frau erkennen, das bis dahin bar jeder Mimik gewesen war. Einen kurzen Augenblick lang brachen die Gesichtszüge auf, ehe die Kontrolle wieder Überhand gewann.
»Mit Ihrer ganzen Kraft haben Sie die Erinnerungen verdrängt, um in Ihrem Leben, in Ihrer Geschäftsrolle funktionieren zu können. Sie versehen Ihre Arbeit vorbildlich. Sie sind sorgfältig und tüchtig. Aber in sich tragen Sie die Katastrophe. Gibt es jemanden, dem Sie sich anvertrauen würden? Jemanden, der Ihnen helfen kann? Sie müssen Hilfe suchen, wo immer Sie sie auch bekommen können, und es eilt.«
Auf Madame Elaines Wangen traten rote Flecken, die Röte breitete sich über den ganzen Hals aus, und die Worte sprudelten über ihre Lippen, um die Bilder zu vermitteln, die in immer schnellerem Tempo auf sie eindrangen.
»Ein Mann ist in Ihr Leben getreten. Der König der Kelche. Vielleicht ist er Geschäftsmann, nein, eher Jurist, jedenfalls etwas, was mit dem Gesetz zu tun hat. Er ist gerecht, großzügig und fürsorglich. Mein Rat ist, dass Sie sich ihm anvertrauen. Ich glaube, er ist stark genug, die Wahrheit zu hören.«
»Und die Zukunft? Was sehen Sie in der Zukunft?«
»Eine Konfrontation. Sie begegnen Ihrer Vergangenheit. Diese Karte hier heißt der König der Schwerter. Das ist ein Mann mit brillanter Intelligenz, aber ohne Fähigkeit zur Empathie. Er hat eine hohe Position in der Gesellschaft. Ich würde meinen, er ist Arzt. Nein, etwas noch Höheres. Was ist? Wie geht es Ihnen?«
»Geht schon, danke.«
»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen? Vielleicht etwas Tee?«
»Nein danke, es ist in Ordnung. Wann werde ich ihm begegnen?«
»Bald. Sehr bald. Aber ich bitte Sie, alle Hilfe anzunehmen, die Sie bekommen können. Es gibt eine Gerechtigkeit. Glauben Sie mir. Sie können von unerwarteter Seite Hilfe bekommen, wenn Sie es nur zulassen.«
»Es hat noch nie eine andere Gerechtigkeit gegeben als die, die man sich nimmt.« Pyret begegnete dem Blick des Mediums mit plötzlicher Aggressivität.
»Es liegt eine ewige Gerechtigkeit darin, sich immer wieder selbst zu begegnen und die Konsequenz aus seinen eigenen Taten anzunehmen. Sie werden ernten, was Sie selbst gesät haben. Er wird zur Konfrontation mit der Wahrheit gezwungen sein und seinen Fehler erkennen, wenn Sie ihm das zugestehen. Darin liegt die Gerechtigkeit. Ich kann mir vorstellen, dass Sie diesmal auf die Erde gekommen sind, um Vergebung zu lernen.«
»Ich glaube nicht an Reinkarnation und solchen Unsinn. Dreihundert sollte es kosten, oder?«
Das Geld wurde auf den Tisch geworfen. Die Stuhlbeine scharrten über den Boden, als sie sich erhob.
»Auch wenn Ihre Kindheit eine Hölle war, tragen Sie die Verantwortung für Ihre Zukunft …«
Doch da schlug die Haustür schon zu.
Nachdem die Frau das Haus verlassen hatte, blieb Madame Elaine in tiefer Ohnmacht sitzen. Ihr Körper zitterte vor Erschöpfung, und der schwere, unregelmäßige Schlag ihres Herzens presste den Brustkorb zusammen und machte es ihr unmöglich, tief Atem zu holen. Sie empfing niemanden des Geldes wegen. Sie war finanziell unabhängig und nahm nur eine symbolische Summe. Sie wollte helfen. Wenn man eine Fähigkeit besitzt, dann ist man verpflichtet, sie nicht zu missbrauchen, sondern sie in den Dienst der Mitmenschen zu stellen. Ganz gleich, mit welcher Gabe einen das Leben beschenkt hat.
Die mediale Fähigkeit war mit der Musikalität zu vergleichen, dachte Elaine. Wie beschreibt ein Mensch mit absolutem Gehör seine Fähigkeit jemandem, der stocktaub ist? Ein Chorleiter kann seine Position missbrauchen. Anstatt den Chor zu musikalischen Höhen zu erheben, benutzt er seine Kraft vielleicht, um Frauen flachzulegen. Das kommt in den besten Kreisen vor. Ich werde alt und zynisch, dachte Elaine. Alt und müde in meiner Seele, und der
Weitere Kostenlose Bücher