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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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nicht alles zu sagen, was er dachte. Typisch für den Alten, den Bäumeausreißer zu spielen und unnötige Risiken einzugehen, anstatt auf sich aufzupassen.
    »Stimmt, nicht mehr ganz.«
     
    Die Sorgen folgten ihm ungebeten mit ins warme Bad. Weder der Whisky noch Eva Cassidy konnten sie daran hindern. Per Arvidsson lehnte den Kopf zurück und betrachtete den Kerzenleuchter mit den angezündeten Kerzen auf der Kommode, kniff die Augen zusammen, bis die Feuerzungen in Stücke geteilt und verdoppelt wurden. Sollte er nach Hause nach Kronviken fahren? Er nahm einen Schluck aus dem Glas und ließ den Whisky langsam über die Zunge rollen. Dann gönnte er sich eine Reise zurück in seine Kindheit, über die er in den letzten Tagen nachzudenken begonnen hatte.
    Den Tag über hatte eine Erinnerung Per Arvidssons Gedanken ganz besonders beschäftigt. Er war klein, vielleicht fünf oder sechs Jahre. Die Eltern standen über ihn gebeugt. Folke war gerade von der Arbeit gekommen. Das war normalerweise der Höhepunkt des Tages. Britts ängstlich flüsternder Mund zitterte vor dem Gesicht des Vaters. Per konnte kaum hören, was sie sagte. »Der Junge hat Fieber. Ich glaube, jetzt schläft er.« Per hatte die Augen öffnen wollen, es aber nicht geschafft. Erst als die Erwachsenen sich ein Stück in Richtung Fenster entfernt hatten, sah er sie, obwohl der Raum im Halbdunkel lag. Wieder die Stimme von Britt. »Der Junge macht mir solche Angst. Er hat von so komischen Sachen gesprochen, von einem Kopf, der sich von seinen Schultern gelöst hat und aufs Dach gestiegen ist. Er hat gesagt, da sei ein Mann im Zimmer gewesen.« Folke legte die Arme um sie. »Mach dir keine Sorgen. Er redet im Fieber.« Britt schluchzte laut auf. »Aber er ist aus dem Bett gesprungen und hat die Blumen am Fenster umgeworfen, um hinauszugelangen. Sieh nur, hier liegt immer noch Erde auf dem Boden. Er hat gesagt, dass ihn ein Mann hier drinnen im Zimmer gejagt habe, und dann hat er ins Bett gemacht. Das kann doch nicht normal sein. Vielleicht ist es nicht nur das Fieber.« Dann wieder Folkes brummige Stimme: »Wie meinst du das?«
    Auch nach all den Jahren konnte Per immer noch die Fiebergestalten vor seinem inneren Auge aufrufen. Hatte er vielleicht denselben Traum mehrere Male geträumt? Ein Mann war hereingekommen und hatte seine Körperteile im Zimmer umhergeworfen, den Kopf, die Arme, die Beine, die Hände, die Zähne, den Rumpf und die großen Augen, die ihn mit ihren scharfen Pupillen aufspießten. Er wusste nie, von welcher Seite das Wesen sich nähern würde. Am schlimmsten war es, die Gefahr zu erkennen, aber nicht zu wissen, wann und aus welcher Richtung der Angriff erfolgen würde. Wieder Folkes Stimme: »Wie meinst du das?« Und Britts Flüstern, kaum hörbar: »Wenn er nun wird wie seine Mutter?«
    In diesem Moment fügten sich die Puzzleteile zusammen. Pernillas Bericht hatte ihm den Schlüssel gegeben, wie der ängstlich wachsame Blick von Britt und ihr Misstrauen zu deuten waren. Würde er etwa verrückt werden, wie seine biologische Mutter?
    Und dann war noch ein Tag aus der Vergessenheit aufgestiegen. Ein Nachmittag im Herbst des Jahres, als er in die Schule gekommen war. Er hatte am Küchentisch gesessen und die aufregenden Fächer an seiner neuen Schultasche betrachtet. »Ein Mann war hier. Er hat oben auf dem Dach gesessen. Als du im Laden warst«, sagte er, als er Britts Schritte im Flur hörte. »Ist das wahr, Per, bist du ganz sicher, dass ein Mann auf unserem Dach gesessen hat? Hat ihn außer dir noch jemand gesehen?« Sie hatte ihn plötzlich gepackt, so fest, dass es weh tat. »Du darfst mir das nicht antun. Du darfst nicht krank werden.«
    Die Erinnerung an den Griff der Hände um seine Schultern hielt ihn noch lange gefangen, als das Missverständnis längst aufgeklärt war. Folke hatte den Schornsteinfeger gebeten nachzusehen, ob eine Elster unten im Schornstein ihr Nest gebaut hatte. Britts Blick, die Stimme, die Hände, die etwas von ihm erwarteten. Solch ein unbegreiflicher Gedanke. Werde nicht krank. Wie macht man das? Nimmt sich vor Ansteckung in Acht? Vor den Menschen?
    Eine andere Erinnerung, ein Kinderfest. »Ich hoffe, du wirst dich gut benehmen. Mama sitzt hier. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich sitze hier, damit du mich die ganze Zeit sehen kannst. Du musste keine Angst haben. Geh und spiel mit den anderen Kindern. Wenn jemand böse zu dir ist, dann komm zu mir und sag es mir. Gib ihnen die Hand, wenn du sie

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