Schwarze Schmetterlinge
und eine Dreijährige in der Flygaregaten. Es gab keine Felicia Sjögren im passenden Alter im Melderegister. Maria suchte erneut und verließ dann das Programm, als hätte sie sich verbrannt. Sie hatte kein Recht, sich in das Leben von Per Arvidsson einzumischen. Wusste er davon? Gab es eine plausible Erklärung? Was sollte sie mit ihrer Entdeckung anfangen?
Maria versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Vor ihr auf dem Tisch lag eine Reihe von Anzeigen wegen Betrugs. Maria sortierte und setzte Prioritäten. Hörte, wie die Kollegen auf dem Flur vorbeigingen, um auszustempeln. Ek steckte den Kopf zur Tür herein und verabschiedete sich. Maria sammelte ihre Papiere ein und loggte sich aus, um einen weiteren Abend und eine weitere Nacht im Fegefeuer zu verbringen.
Nach drei Stunden Schlaf und weiteren zwei Stunden quälenden Wachliegens stand Maria auf und ging in die Küche. Berührte all die wohlbekannten Gegenstände. Strich mit der Hand über das Muster des Ofens, nahm das kleine Glas, in das die Kinder immer ihre Milchzähne legen durften, damit die Zahnfee dann kommen und eine Münze dafür hinlegen würde. Sie strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über die gestickten Wandbehänge, die sie zusammen auf einer Auktion in Uppsala gekauft hatten. Jede Bewegung war von Wehmut und Abschied getragen. Sie machte kein Licht, wollte nicht gesehen werden und nicht in den Gedanken, die in ihrem Innern nagten und Raum brauchten, gestört werden. Auf dieselbe Weise ging sie im Wohnzimmer umher, berührte das Bücherregal, die Ölgemälde, die sie von einem reisenden dänischen Künstler gekauft hatten, die Ledermöbel, die sie seit Emils Geburt besaßen und die so teuer gewesen waren, dass sie sich fast nicht trauten, sie zu benutzen.
Auf einmal wurde ihr klar, dass sie sich nicht an diese Dinge gebunden fühlte. All das könnte sie auch loslassen. Das Haus, das sie geliebt hatte, die Kachelöfen und die verglaste Veranda mit der Aussicht aufs Meer. Der Garten mit seinen Obstbäumen und den Kräuterbeeten. Das Boot, das sie endlose Stunden lang in Wind und glühender Hitze gemeinsam abgeschmirgelt und gestrichen hatten. All das hatte seinen Sinn verloren. An der Tür zum Kinderzimmer blieb sie stehen und betrachtete die Kinder. Sah sie an, bis ihr Blick von den Tränen verschleiert war. Sie spürte die Kälte an ihren nackten Füßen nicht, merkte nicht, wie sie auf den Armen eine Gänsehaut bekam.
Lange stand sie da und betrachtete die Kinder, bis sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Ertappt und verschämt folgte sie ihm ins Schlafzimmer. Wortlos schliefen sie miteinander. Fest packten seine Hände ihr Haar und ihren Nacken, während er verzweifelt stieß und stieß, ohne einen befreienden Orgasmus zu erreichen. Mit zornigen Bewegungen zog er sich an. Die Haustür schlug zu. Sie hörte das Auto starten. Hohläugig starrte sie an die Decke, bis der Wecker klingelte.
27
Dass man mit zweiundachtzig Jahren so glücklich sein konnte, dachte Stig Julin, als er sich in den Bus nach Kronviken setzte. Die Lebenslust war selten so groß gewesen. Die Sonne wärmte sein Gesicht durch die verstaubte Scheibe. Er knöpfte das Jackett zu und machte sich bereit. Bald war es an der Zeit auszusteigen. Er rollte die Zeitung zusammen und steckte sie in die neu gekaufte Ledertasche. Der Mantel war auch neu, die Schuhe ebenso. Seine Tochter hatte ihm geholfen, Hemd und Hose auszusuchen.
Es war ein großer Tag. Die Bäume da draußen vor der Fensterscheibe bogen sich im Wind, verbeugten sich mit ihren orangegelben Löwenmähnen. Er nickte ihnen zu. Bedankte sich für die Aufwartung, die sie ihm machten. Der Herbst war so reich geworden, der Herbst des Lebens, so voller Frucht und Süße. Er hatte ihre Briefe wieder und wieder gelesen, bis er jedes Wort auswendig konnte. Richtige Papierbriefe, die man anfassen und an seine Wange drücken und küssen konnte.
Die jungen Leute schrieben sich Mails. Schon das Wort konnte man kaum aussprechen. Mail. Der Enkel verbesserte ihn jedes Mal. Man sprach es »Mäjl« aus. Das war ganz und gar nicht dasselbe, wie einen Papierbrief zu kriegen. In einem Papierbrief an seine Geliebte musste man die Worte abwägen und die besten auswählen. Die Handschrift musste schön sein, voller Sorgfalt und Raffinesse. Nicht dreist und hungrig wie in der Jugend, als man erst handelte und dann nachdachte. Eine reife Handschrift mit ausgewählten liebevollen Schwüngen, das hatte Gertrud verdient. Es
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