Schwarze Schmetterlinge
Ragnarssons Abwesenheit die Voruntersuchungen im Fall der ermordeten Frau auf dem Rastplatz leiten, da dieser wahrscheinlich für den Rest des Jahres krankgeschrieben sein würde. Ek lieferte eine kurze Zusammenfassung. Die Identität des Opfers hatte man noch nicht feststellen können, doch im Lauf des Tages würde man die Liste über alle als vermisst gemeldeten Personen durcharbeiten, zunächst im Bezirk und dann, falls das keine Ergebnisse bringen würde, auch überregional.
»Der Fundort ist höchstwahrscheinlich nicht mit dem Tatort identisch.« Die Kriminaltechnikerin Erika Lund hielt ein paar von den Bildern hoch, die noch während der Nacht entwickelt worden waren. »Meiner Einschätzung nach war die Frau zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt. Ihr ist die Kehle durchgeschnitten worden, und zwar so, dass sie sicher nach wenigen Minuten tot war. Der Müllsack enthielt kein Blut in nennenswerten Mengen. Die Kleider sind angekokelt, Teile des Körpers sind schwer verbrannt.« Erika zeigte ein Foto mit den rußigen Fetzen eines langen Kleides, einer blauen Häkelmütze, ein paar blonden langen Haarsträhnen und einer Armbanduhr mit zerbrochenem Zifferblatt.
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Von seinem Platz an der Bar aus sah Krister Wern über das Lokal. Auf der Tanzfläche war es rappelvoll von Paaren, die sich zu den Klängen der Siebzigerjahre-Ohrwürmer bewegten, die von einer Band aus der Gegend, deren Namen er schon wieder vergessen hatte, zum Besten gegeben wurden. Die Donnerstagabende waren eigentlich nicht sonderlich geeignet, wenn man die Damen für sich allein haben wollte. Es gab eine spürbare Konkurrenz durch die Handelsvertreter, die geschäftlich im Ort waren. Das Leben als Handelsvertreter hatte durchaus seine Verlockungen. Die Freiheit, immer wieder an neue Orte zu kommen, wo man sich eine neue Identität geben konnte und wo keiner so genau wusste, wer man war. Es wäre durchaus möglich, sich einen neuen Namen und einen neuen Beruf auszudenken. Eine Frau mit aufs Zimmer zu kriegen war der Lohn des Kriegers nach einem Tag der Mühsal. Keine Verpflichtungen, keine Versprechen und kein Gerede von Verantwortung. Diese Vorstellung war in der Tat sehr verführerisch.
Maria würde heute Abend wieder spät heimkommen. In diesem Moment ging sie davon aus, dass er die Kinder ins Bett gebracht hatte und zu Hause vor dem Fernseher wartete.
Eines Tages würde er ihr gestehen müssen, dass er den IT-Kurs abgebrochen hatte, weil es so erniedrigend war, als überalterter Sitzenbleiber zwischen den karrierehungrigen und wissbegierigen jungen Leuten zu sitzen. Er würde auch erzählen müssen, woher das Geld kam, von dem sie lebten, dass sie derzeit mehr oder weniger von seiner Mutter, Gudrun Wern, versorgt wurden. Und dass er das Jobangebot in Malmö angenommen hatte. Würde Maria ihren Job in Kronviken sausen lassen, um allein mit den Kindern in einer Wohnung in Malmö zu sitzen? Da war er sich inzwischen nicht mehr so sicher. Wenn er an Maria dachte, schmeckte das Bier plötzlich ein wenig wässrig, und er bestellte sich einen Kognak, um den Magen zu beruhigen.
Schon bald würde sie nach Hause kommen und feststellen, dass ihre Schwiegermutter den Babysitter gab. So kann es gehen, wenn man einen Job hat, der einem wichtiger ist als das Familienleben. Das hielt doch kein Mann auf die Dauer aus, dass seine Frau nächtelang mit ihren männlichen Kollegen in ein enges Auto gequetscht Streife fuhr. Stunde um Stunde vertraulicher Gespräche, von der gemeinsamen Aufgabe zusammengeschweißt. Wer wusste schon, wohin das führte. Woher wollte er wissen, dass sie ihn nicht betrog?
Krister erhob sich vom Barhocker und machte sich auf in Richtung Toiletten, die sich eine Treppe tiefer befanden. Hinter einem Pfeiler bemerkte er einen Tisch mit fünf lachenden Frauen und beschloss, später noch einmal vorbeizuschlendern, wenn die ganz akuten Bedürfnisse gestillt waren. Er kreuzte zielstrebig zwischen den Tischen hindurch. Eigentlich bin ich doch ganz tageslichttauglich, dachte er. Auf der Herrentoilette begegnete er überraschend seinem Bruder Jens.
»Mensch, Brüderchen!«
»Hallo, Krister, was machst du denn hier? Hat man dich an einem ganz gewöhnlichen Wochentag rausgelassen? Ich hab gedacht, Maria hat jede Menge zu tun. Hab im Radio gehört, dass am Rastplatz Süd was passiert ist. Da ist richtig viel los, die ganze Umgebung ist abgesperrt.«
»Mama gibt den Babysitter. Ich muss ja wohl auch mal ein Privatleben
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