Schwarze Schmetterlinge
in der einen Hand und einer Waage in der anderen schwebte über ihnen unter der Decke, bereit, die guten gegen die bösen Taten im Leben abzuwägen. Es war so makaber, dass einem das Lachen im Halse steckenblieb.
»Das ist das Geschmackloseste, was ich je gesehen habe.« Felicia schob sich in seinen Arm. Unter dem dunklen Gewölbe war es kalt und feucht. Der Mönch am Eingang rief über seinen Lautsprecher, dass Fotografieren verboten sei, und Filmen sei auch verboten, und sie sollten leise sein.
»Ich finde, er ist am gruseligsten von allem«, meinte Per flüsternd. »Die Knochen hier sind vielleicht die sterblichen Überreste der Unglücklichen, die in dieser Krypta fotografiert, gefilmt oder zu laut geredet haben.«
»Als einziger lebendiger Mönch unter viertausend toten muss er sich ja ein wenig bedrängt fühlen, das kann ich schon verstehen. Vielleicht ist er hierher strafversetzt worden. Du, ich glaube, mir reicht es jetzt. Können wir rausgehen?«
»Ich dachte, wir wollten uns heute Nachmittag die Katakomben ansehen«, warf er ein.
»Von mir aus können wir die gern auslassen.« Felicia hatte die Arme fest um den Körper geschlungen. Per führte sie zum Ausgang und in die Sonne hinaus. Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge, um den Geruch der Toten aus ihren Lungen zu bekommen.
»Denkst du viel an deinen Vater?«, fragte sie später, als sie sich auf das Geländer des Tritonenbrunnens gesetzt hatten, um Eis zu essen. Die Mittagssonne wärmte angenehm im Gesicht. Hoch über ihren Köpfen spuckte der pausbäckige Meeresgott das Wasser durch eine Muschel, sodass es über die Steinfische und auf die Sterblichen herabspritzte.
»Ja. Es fällt mir schwer, den Gedanken zu ertragen, dass er leiden musste. Ich versuche, das von mir fernzuhalten. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit. Er hat mich um Hilfe gebeten. Lass mich sterben. Das hat er mehrere Male gesagt. ›Was habe ich getan, dass ich das hier erleben muss? Lass mich gehen.‹ Was hätte ich denn tun sollen?«
Felicia sah ihn eine Weile mit ihren grünen Augen an, ehe sie antwortete: »Du warst bei ihm. Ich weiß, wie unzureichend man sich als Angehöriger fühlt. Man kann nichts tun, als den geliebten Menschen zu umarmen und ihm nahe zu sein. Ganz und gar nah.«
»Er hat von Sterbehilfe gesprochen. Vielleicht hätte ich besser auf ihn hören sollen. Wenn ich gewusst hätte, wie schwer es werden würde, dann wäre das vielleicht eine Alternative gewesen.«
»Das glaube ich nicht. Es lag doch vor allem am Personalmangel, dass es so gekommen ist. Wenn er sofort Schmerz- und Beruhigungsmittel bekommen hätte, dann wäre es nicht so schlimm gewesen.« Felicia umarmte ihn. »Holländische Ärzte berichten von den Nebenwirkungen, die in zehn Prozent der Fälle von Sterbehilfe eintreten. Zum Beispiel, dass die Patienten nicht sterben, sondern Krämpfe bekommen und es ihnen schlecht geht. Wie fühlt man sich dann als Arzt oder als Angehöriger? Es heißt ja so schön, dass sich das Militär um das Töten kümmern soll. Ich finde nicht, dass es in den Verantwortungsbereich des Arztes fällt. Man kann vielleicht sagen, dass man das Recht hat, sich selbst das Leben zu nehmen, aber man darf diesen Dienst niemals jemand anders abverlangen.«
»Es ist doch erstaunlich, dass man erst dem Tod ins Auge sehen muss, um zu begreifen, dass man nicht ewig lebt«, überlegte er weiter. »Plötzlich wird wichtig, was man mit seinem Leben macht.«
»Als meine Tochter starb, habe ich völlig den Boden unter den Füßen verloren. Alles erschien so sinnlos. Als ich wieder in den Alltag zurückkehrte, gab es nur einen einzigen Sinn für mich: Leben zu retten. Jedes Menschenleben ist die Rückzahlung einer unendlichen Schuld. Der Tod hat so viele verschiedene Gesichter. Als Mama starb, habe ich beschlossen, dass ich Rom sehen will. Also habe ich alles zurückgelassen und mich in ein leidenschaftliches Verhältnis mit einem Italiener gestürzt. Was übrigens die beste Methode ist, eine Fremdsprache zu erlernen. Die Beziehung dauerte zwei Monate, nämlich bis ich verstehen konnte, was er sagte. Dann bin ich nach Neapel gereist. Ich würde dir gern Pompeji zeigen.«
»Die Erotik im Schatten des tödlichen Vesuvs. Ja, warum nicht?«
Per nahm ihre Hand zwischen seine und führte sie an seine Lippen. Er versuchte, den Gedanken an den Mann, mit dem sie ein Verhältnis gehabt hatte, wegzuwischen. Die Gedanken, die ihn immer heimsuchten, wenn er sie ansah. Hatte sie sich ihm hingeben
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