Schwarze Schmetterlinge
Empfindlichkeit bei ihr oder vielleicht auch bei ihm selbst, die ihn daran hinderte, an Dinge zu rühren, von denen er nichts wusste.
Wollte er wirklich die Wahrheit wissen? Liebst du mich? Ich werde dich immer lieben. Starke Worte. Am Abend zuvor hatte sie, ehe sie eingeschlafen waren, eine neue avancierte Übung angefangen, bei der man die ultimative Empfindsamkeit erreichte, indem man einander mit Rasierklingen berührte. Er hatte sie vorsichtig entwaffnet. Keiner von ihnen war sonderlich nüchtern, das hätte schiefgehen können. »Können wir uns nicht einfach umarmen?«, hatte er vorgeschlagen, und sie hatte ihn mit ihren halbmondförmigen Augen erstaunt angeschaut. Sich einfach umarmen und zu gleichen Teilen geben und nehmen, hatte er gedacht. Oft hatte er den Eindruck, als wäre die Erotik zwischen ihnen kein gemeinsames Spiel, sondern etwas, das sie leistete und das er empfing. Er hätte so gern einmal erlebt, wie sie die Kontrolle verlor und sich ganz hingab. Doch wie sagt man dem anderen, dass man sich noch mehr wünscht, ohne ihn zu verletzen?
Als er aufwachte, lag sie nicht neben ihm im Bett. Im Halbdunkel suchte er ihre Wärme zwischen den Laken. Das bedrohliche Gefühl, dass sie ihn verlassen haben könnte, fuhr wie ein eiskalter Wind durch den Raum. Er schoss hoch. Ihre Kleider waren noch da. Das beruhigte ihn ein wenig. Drei Paar Schuhe auf dem Fußboden. Das Kleid, das sie gestern angehabt hatte, lag zerknüllt am Fußende des Bettes.
Per wollte gerade in die Dusche steigen, als er Felicias Telefon klingeln hörte. Es dauerte eine Weile, bis er es unter ihrem Kissen fand. Sollte er rangehen? Er drückte den Knopf und dachte noch nach. Ehe er einen Beschluss gefasst hatte, hörte er eine tiefe Männerstimme.
»Ich weiß, wo du bist.«
»Dies ist der Apparat von Felicia Sjögren.« Am anderen Ende wurde es still. »Hallo? Hallo?« Ein klickender Laut, und das Gespräch war unterbrochen. Jemand, der mit Felicia sprechen wollte, ohne Namen und Anliegen anzugeben. Sollte er sie fragen, wer das war?
Per duschte rasch und setzte sich dann aufs Bett. Was sollte er tun? Wo mochte sie nur sein? Das hartnäckige Tönen des Martinshorns unten auf der Straße beruhigte ihn auch nicht gerade. Als er über eine Stunde gewartet hatte, erkundigte er sich an der Rezeption und erfuhr, dass Signorina Sjögren das Hotel ungefähr zwei Stunden zuvor verlassen habe, um zur Bäckerei um die Ecke zu gehen. Im selben Moment quietschte draußen der uralte Fahrstuhl, und da stand sie schon vor ihm, mit einer Papiertüte, aus der Gemüse quoll, und einem Brot im Arm.
»Ein wenig shoppen gewesen?« Er schämte sich für die vorwurfsvollen Gedanken, die er gehegt hatte, und versuchte, nicht zu verärgert zu klingen.
»Eigentlich habe ich eher gearbeitet. Ein kleines Mädchen hat sich übel verschluckt, als ich gerade im Laden war. Das hätte böse ausgehen können.«
»Was ist passiert?«
»Irgendein Idiot hat ihr eine Tüte Erdnüsse gegeben, einem kleinen Kind von ungefähr einem Jahr, mit zwei Zähnen oben und zwei unten. Sie saß in ihrem Wagen und hatte schon ganz blaue Lippen. Die Eltern haben nichts dabei gefunden. Keiner hat was gesagt. Ich habe sie aus dem Wagen gezerrt und übers Knie gelegt und ihr auf den Rücken geschlagen. Das hat nicht geholfen, und die Kleine wurde bewusstlos. Ich versuchte, sie künstlich zu beatmen, um die Erdnuss in die Bronchien zu pusten. Sie wurde blau im Gesicht, und da habe ich ein Taschenmesser und einen Strohhalm genommen und einen Luftröhrenschnitt gemacht. Sie hat es geschafft. Hast du den Krankenwagen gehört?«
»Ja, klar. Du hast ihr in den Hals geschnitten?«
»Ich hatte keine andere Wahl.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich das getraut hätte.«
»Du bist ja auch kein Arzt. Jedenfalls lebt sie. Ich habe ein sehr schmales Taschenmesser genommen. Ich weiß, was ich tue. Ein Strohhalm reicht sogar für einen Erwachsenen aus, um genug Luft zu kriegen. Die Eltern wussten gar nicht, wie sie mir danken sollten. Sie wird es schaffen.«
»Und warum bist du nicht mit dem Krankenwagen mitgefahren?«
Felicia antwortete nicht. Sie ließ die Tüte auf seine Füße fallen, ihre Augen funkelten schwarz. So wütend hatte er sie noch nie gesehen.
»Entschuldige, Felicia. Ich wollte nicht infrage stellen, was du getan hast«, sagte er und versuchte, sie in den Arm zu nehmen, aber sie stieß ihn von sich.
»Ich habe Brot gekauft und wollte dich zum Frühstück im Bett einladen.
Weitere Kostenlose Bücher