Schwarze Seide, roter Samt
konnte Marion die Umrisse eines Tisches, zweier Stühle und
eines offenstehenden Schrankes erkennen. Eines stand fest: In
einer Luxusherberge hielten sie sich nicht auf. »Wir sind in Marrakesch
«, erklärte Marco. Er saß auf dem Bettrand und hielt
Marions Hand. »In einem Hotel. Für heute Nacht können wir
bleiben, dann sollten wir uns etwas außerhalb Gelegenes suchen.«
»Kann Taleb uns hier nicht finden?«
»Marrakesch ist groß, und Taleb hat keine Ahnung, in welchem
Hotel wir untergekommen sind. Du mußt keine Angst haben,
mein Kleines.« Mit welch zärtlicher Stimme ein Mörder sprechen
kann, dachte Marion. Sie wußte, sie war einer Falle entkommen,
aber sie mußte aufpassen, daß stattdessen nicht die nächste über
ihr zuschnappte. »Wie ist dir das gelungen, Marco?«
»Es war nicht so schwierig. Am Hafen warteten zwei große
Autos, die Taleb bestellt hatte. Ich trug dich auf den Armen wir
waren die letzten, die das Schiff verließen , und Taleb, der sehr
nervös war, drängte: Schnell, Marco und Jean-Luc gehen mit
dem Mädchen in das zweite Auto, und ihr folgt uns dann! Es
war aber ein ungeheures Gedränge am Hafen, und wir schafften
es alle nicht, einander im Auge zu behalten. Eine Gruppe von
Passagieren hatte sich gerade ein Taxi herangewunken, ich drängte
mich an ihnen vorbei und sagte: Diese junge Frau hier ist
ohnmächtig geworden, ich muß sie sofort nach Hause bringen!
Man ließ mir widerspruchslos den Vortritt. Naja, und so gelangten
wir hierher!« Marco lächelte stolz und sah Marion lobheischend
an. Bereitwillig erklärte sie: »Das hast du sehr gut gemacht.
Wirklich, Marco, du bist sehr geschickt. Glaubst du, Taleb
läßt nach uns suchen?«
»Das ist nicht völlig ausgeschlossen. Deshalb meine ich auch,
wir sollten nicht lange hier in der Stadt bleiben. Ich kenne mich
ein bißchen aus, ich war öfter hier. Ich werde etwas für uns
finden!«
»Etwas für uns finden
« Irgendwie hörte sich das nach einer
regelrechten Zukunftsplanung an. Zukunft mit Marco? Das war
das letzte, was Marion wollte. Aber sie durfte ihm das nicht
zeigen. Noch nicht.
Sanft sagte sie: »Du hast mir doch wieder Schlaftabletten gegeben,
Marco, nicht wahr? Warum tust du das? Vertraust du mir
nicht? Das würde mich sehr traurig machen!«
Marco drückte sie sofort an sich und streichelte ihr über die
Haare. »Natürlich vertraue ich dir. Wir lieben einander ja, und
deshalb gibt es zwischen uns kein Mißtrauen. Aber es war sicherer für dich, wenn du nichts hörst und nichts siehst. Vielleicht
hättest du im falschen Moment etwas gesagt oder getan, was alle
unsere Pläne gefährdet hätte. So konnte ich alleine entscheiden
und handeln, und wie du siehst, ist alles gut ausgegangen. Wir
werden es in Zukunft immer so machen. Du mußt nur tun, was
ich dir sage, und dich mir ganz anvertrauen, dann wird alles gut
werden. Ja?«
Sie nickte mühsam. »Ja Marco. Aber wie soll es weitergehen?«
»Laß das doch meine Sorge sein!«
»Ich würde es so gerne wissen!« Sie bemühte sich, die Augen
weit aufzureißen und einen kindlichen Ausdruck in ihr Gesicht
zu legen. Auf keinen Fall durfte er ihr Mißtrauen und ihre Angst
spüren. Argwöhnisch betrachtete er sie. »Vertraust du mir nicht?«
»Doch. Natürlich. Aber ich will mich auf die
die Zukunft mit
dir freuen, und dazu muß ich doch wissen, wie sie aussehen
wird.« Marco entspannte sich wieder. Sein Zeigefinger glitt über
Marions Stirn, die Nase entlang, blieb kurz auf den Lippen liegen
und nahm seinen Weg entlang dem Hals. Seine Hand griff in den
Ausschnitt ihres Pullovers. Erst jetzt bemerkte Marion, daß er ihr
offenbar einen Pullover von sich übergezogen hatte; er reichte
ihr bis knapp auf die Oberschenkel. Darunter hervor sahen ihre
Strapse, dann kamen ihre schönen, glänzend schwarzen Strümpfe.
Wie lange war es her, daß sie sich in dem Hamburger Wäschegeschäft
eingekleidet hatte, voller Zuversicht und Siegesgewißheit?
Wochen, Monate, Jahre mochten seitdem vergangen
sein, so kam es ihr jedenfalls vor. Sie seufzte leise, als sich Marcos
Hände um ihre Brüste schlossen. »Du bist so schön«, flüsterte er,
»so wunderschön!« Die Tränen stiegen ihr in die Augen vor Wut
und Ekel. Dieser perverse Verbrecher, der Corinna getötet hatte
und nun glaubte, ein bereitwilliges Opfer für alle Zeiten gefunden
zu haben!
Nimm dich zusammen, befahl sie sich im stillen, nimm dich
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