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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Kräfte. Bald würde er sich erheben und wie eine Welle über ihnen zusammenschlagen. Alles verdunkeln. Helga spürte es in sich, in ihrem Körper fand ein Krieg statt, Blutkreislauf, Herzrhythmus, Atem, alles war heftig gestört.
    »Vielleicht hatte sie eine Panne«, sagte Ruth, »und hat jemanden um Hilfe gebeten. Vielleicht flickt jetzt gerade irgendwer ihr Rad.«
    Helga nickte eifrig. An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht. Jetzt fühlte sie sich unbeschreiblich erleichtert. Es gab ja so viele Erklärungen, so viele Möglichkeiten, fast keine war gefährlich, nur sah sie die eben nicht. Sie saß steif neben ihrer Schwester und wünschte Ida eine ganz gräßliche Reifenpanne. Das würde alles erklären. Zugleich geriet sie in Panik, denn gerade dieses Bild machte ihr neue Angst. Davor, daß ein kleines Mädchen mit braunen Augen und Fahrradpanne ein Auto zum Anhalten bringen könnte. Unter dem Vorwand, daß der Fahrer ihr helfen wollte. Vorwand! Wieder spürte sie einen Stich im Herzen. Außerdem hätten sie sie dann gesehen, sie fuhren doch die Strecke, die Ida zurücklegen mußte. Und Abkürzungen gab es nicht.
    Helga starrte vor sich hin. Sie wollte nicht nach links schauen, denn dort floß der graue, schäumende Fluß. Sie wollte die ganze Zeit nach vorn blicken, wann immer das möglich war, auf den Moment, in dem alles wieder gut sein würde.
    Sie fuhren zum Haus zurück. Etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. Nur das Brummen von Ruths Volvomotor war zu hören. Sie hatte das Radio ausgeschaltet. Sie konnten doch keine Musik hören, wenn Ida verschwunden war. Noch immer war kaum Verkehr. Aber bald holten sie ein seltsames Fahrzeug ein. Es sah aus wie eine Kreuzung aus einem Moped und einem kleinen Lastwagen. Es hatte drei Räder, einen Motorradlenker und eine Ladefläche von der Größe eines Lieferwagens. Der Fahrer fuhr sehr langsam, aber sie konnten seinem Rücken ansehen, daß er das Auto bemerkt hatte. Er wich nach rechts aus, um sie vorbeizulassen. Er starrte dabei auf die Straße.
    »Emil Johannes«, sagte Ruth. »Der ist immer unterwegs. Sollen wir ihn fragen?«
    »Der kann doch nicht sprechen«, wandte Helga ein.
    »Das ist nur ein Gerücht«, meinte Ruth. »Ich glaube, er kann reden wie ein Wasserfall. Und zwar dann, wenn es ihm paßt.«
    »Warum glaubst du das?« fragte Helga skeptisch.
    »Das sagen alle hier. Daß er einfach nicht will.«
    Helga konnte sich nicht vorstellen, daß jemand nicht redete, wenn er es doch konnte. So etwas hatte sie noch nie gehört. Der Mann auf dem Moped war vielleicht Mitte Fünfzig. Er trug eine altmodische braune Ledermütze mit Ohrenklappen und eine winddichte Jacke. Die Jacke war nicht zugeknöpft. Die Schöße flatterten hinter ihm im Wind. Als er das Auto neben sich spürte, geriet er ins Schwanken. Er schaute abweisend, aber Ruth ließ sich nicht beeindrucken. Sie winkte ihm zu und gab ihm ein Signal, anzuhalten. Er gehorchte widerwillig. Aber er sah sie nicht an. Er wartete nur, starrte weiter geradeaus, die Hände umklammerten den Lenker, die Ohrenklappen hingen wie Hundeohren über seine Wangen. Ruth öffnete das Wagenfenster.
    »Wir suchen ein Mädchen!« rief sie.
    Der Mann schnitt eine Grimasse. Er begriff nicht, warum sie so brüllte, er war ja schließlich nicht schwerhörig.
    »Ein dunkelhaariges Mädchen von zehn Jahren. Sie ist auf einem gelben Fahrrad unterwegs. Sie kommen doch soviel herum. Haben Sie sie gesehen?«
    Der Mann starrte den Asphalt an. Sein Gesicht war von der Mütze teilweise verborgen. Helga Joner starrte auf den Anhänger. Der war mit einer schwarzen Plane bedeckt. Sie hatte den Eindruck, daß unter dieser Plane etwas lag. Ihre Gedanken jagten in alle Richtungen. Unter einer solchen Plane war Platz genug für ein Mädchen und ein Fahrrad. Sah der Mann nicht schuldbewußt aus? Zugleich wußte sie, daß er immer diese abweisende Miene aufsetzte. Sie hatte ihn ab und zu im Laden gesehen. Er lebte in seiner eigenen Welt.
    Die Vorstellung, Ida könne unter der schwarzen Plane liegen, kam ihr absurd vor. Ich bin doch nicht ganz bei mir, dachte sie.
    »Haben Sie sie gesehen?« fragte Ruth noch einmal. Was hat sie für eine energische Stimme, dachte Helga. So ermahnend. Sie brachte die Leute dazu, stehenzubleiben und ihr zuzuhören.
    Endlich erwiderte der Mann ihren Blick, das aber nur für einen Moment. Seine Augen waren rund und grau. Aber irrten sie nicht hin und her? Helga biß sich auf die Lippe. So war er nun einmal,

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