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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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das wußte sie, er wollte nicht mit anderen reden oder sie ansehen. Das hatte nichts zu bedeuten. Seine Stimme klang heiser, als er antwortete.
    »Nein«, sagte er.
    Ruth hielt seinen Blick fest. Die grauen Augen wichen wieder aus. Er schaltete und ließ den Motor aufbrausen. Das Gas lag irgendwo rechts. Er gab gern Gas. Ruth betätigte das linke Blinklicht und fuhr an ihm vorbei. Aber noch immer betrachtete sie ihn im Rückspiegel.
    »Ha!« schnaubte sie. »Alle sagen, daß er nicht sprechen kann. Was für ein Blödsinn!«
    Drückende Stille senkte sich über den Wagen. Helga dachte, jetzt ist sie wieder zu Hause. Laila im Kiosk kann sich nicht daran erinnern, aber Ida hat dort eingekauft. Sie liegt auf dem Sofa und liest Wendy und kaut Bugg, bis ihre Wangen sich ausbeulen. Überall liegt Bonbonpapier herum. Ihr Mund riecht süß, nach dem rosa Kaugummi.
    Aber das Wohnzimmer war leer. Innerlich brach Helga vollständig zusammen. Ihre ganze Welt zerfiel.
    »Herrgott«, schluchzte sie. »Jetzt ist es ernst! Hörst du, Ruth? Irgend etwas ist passiert!«
    Das Schluchzen endete mit einem Schrei. Ruth lief zum Telefon.
     
    Die Nachricht, daß Ida Joner vermißt werde, wurde auf der Wache um 20.35 Uhr registriert. Die Anruferin stellte sich als Ruth Emilie Rix vor. Sie gab sich alle Mühe, sachlich zu klingen, aus Angst, sonst vielleicht nicht ernstgenommen zu werden. Gleichzeitig jedoch lag in ihrer Stimme ein frenetischer Unterton. Jacob Skarre machte sich auf einem Block Notizen, während die Frau erklärte, und in ihm stiegen widersprüchliche Gefühle auf. Ida Joner, zehn Jahre alt, aus Glassverket, war seit zwei Stunden verschwunden. Natürlich war etwas passiert. Aber es mußte sich nicht um etwas Schreckliches handeln. In der Regel war das nicht der Fall, sondern es lag irgendeine Bagatelle vor. Zuerst brannte es wie ein Wespenstich, dann kam die süßeste aller Linderungen. Mutters Umarmung. Er lächelte bei diesem Gedanken vor sich hin, denn er hatte das schon oft erlebt. Zugleich zog er den Kopf ein, weil nun so vieles passieren konnte.
    Um 21 Uhr hielt der Streifenwagen vor Helga Joners Haus. Sie wohnte im Glassblåservei 8, elf Kilometer von der Stadt entfernt, weit genug draußen, um es sehr ländlich zu haben, mit einzelnen Höfen und Äckern und großen und kleinen Neubaugebieten. Glassverket besaß seinen eigenen kleinen Ortskern mit Schule, Läden und Tankstelle. Das Haus lag in einem Wohngebiet. Es war rot gestrichen und wirkte einladend. Eine Hecke aus Kornellkirsche reckte ihre dünnen Zweige und bildete einen dramatischen, gezackten Rahmen um das Grundstück. Das Gras wies nach der Dürreperiode gelbe Flecken auf.
    Helga stand am Fenster. Beim Anblick des weißen Wagens wurde ihr schwindlig. Sie war zu weit gegangen, sie hatte das Schicksal herausgefordert. Es war das Eingeständnis gewesen, daß etwas Schreckliches passiert war. Sie hätten es nicht tun dürfen. Wenn sie es nicht getan hätten, wäre Ida ganz von selbst gekommen. Sie begriff die eigenen Gedanken nicht, sie hatte entsetzliche Sehnsucht danach, daß jemand die Leitung übernahm und Anordnungen traf. Zwei Polizisten kamen auf das Haus zu, und Helga starrte den älteren an, einen sehr hochgewachsenen, grauhaarigen Mann von Mitte Fünfzig. Er bewegte sich langsam und überlegt, als könne ihn nichts zu Fall bringen. Helga dachte: Er ist genau, was ich brauche. Er wird das alles in Ordnung bringen, das ist sein Beruf, er macht es nicht zum ersten Mal. Es kam ihr unwirklich vor, ihm die Hand zu geben. Das passiert doch gar nicht, dachte sie, hol mich aus diesem schrecklichen Traum heraus. Aber sie wachte nicht auf.
    Helga hatte sich gut gehalten, sie war dunkel und untersetzt und hatte ihre fülligen Haare aus dem Gesicht nach hinten gestrichen. Ihre Haut war hell, ihre Augenbrauen waren kräftig und dicht. Hauptkommissar Sejer musterte sie mit festem Blick.
    »Sind Sie allein?« fragte er.
    »Meine Schwester kommt gleich wieder. Sie hat Sie angerufen. Sie mußte ihrer Familie Bescheid sagen.«
    Ihre Stimme war von Panik erfüllt. Sie sah die beiden Männer an, Jacob Skarre mit seinen blonden Locken und Konrad Sejer mit den stahlgrauen Haaren. Sie sah sie an wie eine Bettlerin. Dann verschwand sie im Haus. Blieb mit verschränkten Armen vor dem Fenster stehen. Es war ihr unmöglich, sich hinzusetzen, sie mußte hier stehen, mußte die Straße sehen, das gelbe Fahrrad, wenn es endlich kam. Denn jetzt würde es kommen, jetzt wo sie diesen

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