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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sie, als er über den Gang lief. Er war unterwegs zu einem Menschen, der nie zuvor gegen die norwegischen Gesetze verstoßen hatte. Zugleich dachte er an Ida.
    Sie hatte beide Hände in den Schoß gelegt. Man konnte Elsa Mork nicht als schöne Frau bezeichnen. Aber alle Menschen haben etwas, dachte Sejer. Jetzt fiel ihm ihre Haltung auf. Sie saß ungeheuer gerade da. Ihr starkes Gesicht zeugte von Kampfbereitschaft. Ihre Hände, die sie unter dem Tisch versteckte, waren vom Putzen rot und rissig. Daran erinnerte er sich noch von ihrer ersten Begegnung. Sie trug einen dünnen Pullover mit rundem Ausschnitt und einen ausgestellten Rock ohne Falten. Der Rock reichte ihr bis zur Mitte der Waden. An den Füßen hatte sie geschnürte Laufschuhe. Keine Dauerwelle, ihre Haare waren kurz und stahlgrau, ein wenig wie Sejers eigene.
    Er begrüßte sie freundlich und holte sich einen Stuhl. Sie nickte kurz, lächelte aber nicht. Ihr Gesicht war abwartend. Unter aller Ruhe aber mußte doch arger Streß liegen, überlegte Sejer, den verbarg sie jedoch gut. Es konnte bedeuten, daß sie daran gewöhnt war, Dinge zu verbergen, ihre Fassade zu behalten, die, die er jetzt sah. Aber hier geht es um ein Kind, dachte er dann. Um ein entzückendes Kind mit braunen Augen, das Ähnlichkeit mit Mary Pickford hat. Elsa Mork hatte selbst ein Kind. Es mußte möglich sein, sie anzurühren.
    Er goß sich ein Glas Mineralwasser ein. Das Rieseln des Wassers war das einzige Geräusch in dem stillen Zimmer. Es klang so laut. Elsa wartete. Sejer trank einen Schluck.
    »Hier drinnen ist so trockene Luft«, sagte er dann. »Das ist nur ein guter Rat. Wenn Sie sich müde fühlen, dann hilft es, etwas zu trinken.« Er nickte zur Flasche an ihrem Platz hinüber.
    Sie gab keine Antwort. Er war freundlich, aber sie war auf der Hut. Sie war daran gewöhnt, sie hatte immer auf der Hut sein müssen.
    »Wissen Sie, warum Sie hier sind?« fragte er als erstes.
    Elsa mußte überlegen. Natürlich wußte sie das. Aber sie mußte es so gut wie möglich formulieren.
    »Ich glaube schon«, sagte sie steif. »Emil und ich sind im Zusammenhang mit diesem Fall hergebracht worden. Es geht um dieses Mädchen, das Sie auf der Straße gefunden haben.«
    »Richtig«, sagte er und ließ sie nicht aus den Augen. Ihr Blick war bisher noch fest.
    »Sie können sich vielleicht aus den Zeitungen an ihren Namen erinnern?« fragte er.
    Sie zögerte und wollte den Namen nicht laut sagen, tat es dann aber trotzdem.
    »Ida«, sagte sie leise.
    »Sind Sie Ida Joner je begegnet?«
    »Nein!«
    Diese Antwort war sehr schnell gekommen. Vielleicht traf sie in gewisser Hinsicht auch zu. Vielleicht hatte sie ja nur die tote Ida gesehen.
    »Wissen Sie, ob Ihr Sohn Ida Joner je begegnet ist?«
    Wieder dieses Nein, wieder ganz fest.
    »Er wohnt in seinem eigenen Haus«, sagte Sejer.
    »Nein, es gehört der Gemeinde«, warf sie ein.
    »Na gut.« Sejer nickte. »Aber er lebt allein. Sie besuchen ihn oft und helfen ihm, aber meistens ist er doch allein. Ist es da ganz unmöglich, daß Ida ohne Ihr Wissen in seinem Haus gewesen sein kann?«
    Jetzt mußte Elsa wieder nachdenken. Sie durfte sich nicht zu sicher sein. Sejer sah zweifellos, daß sie nach glaubwürdigen Lügen suchte. Sie war bestimmt auch zu Recht nervös bei dem Gedanken daran, was die Polizei ohne ihr Wissen vielleicht an Karten in der Hand hatte. Vermutlich hatten sie Emils Haus und ihre eigene Wohnung durchsucht.
    »Ich kann es natürlich nicht beschwören«, sagte sie endlich, nach langem Nachdenken. »Ich bin nicht rund um die Uhr bei ihm. Aber ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, daß ein kleines Mädchen mit Emil nach Hause gehen würde. Das würde doch kein Kind wagen.«
    »Können Sie mir genauer erklären, wie Sie das meinen?« fragte er vorsichtig.
    »Er sagt nichts«, erwiderte sie. »Und er ist so langsam. Außerdem sieht er düster aus. Auch wenn er das nicht ist. Sein Gesicht ist einfach so.«
    Sejer nickte.
    »Aber wir können nicht ausschließen, daß Ida im Haus Ihres Sohnes gewesen sein kann?«
    »In meinem Leben passieren im Moment so viele seltsame Dinge, daß ich gar nichts mehr ausschließen kann«, sagte sie bissig.
    Fast wäre sie hochgegangen. Sie riß sich zusammen. Sejer musterte sie mit ernster Miene. Eine Sekunde lang ahnte er, welche Kräfte in ihr wüteten, Kräfte der Verzweiflung und der Angst.
    »Es kommt vor, daß Menschen wie Emil zu Kindern leichter einen Draht finden«, sagte er sanft. »Von

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