Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
dachte er. Aber er sah nett aus. Offen und neugierig. Zugleich wirkten beide ernst. Emil verstand diesen Ernst, aber das konnte er nicht sagen.
»Emil Johannes Mork?« fragte die Polizistin.
Er nickte nicht, er wartete nur.
»Bitte, kommen Sie mit uns.«
Er überlegte zuerst. Sie hatte das so nett gesagt. Emil ging wieder ins Haus. Er mußte zuerst noch etwas erledigen. Er legte ein Handtuch über den Käfig und überprüfte den Heizkörper unter dem Fenster. Zog die Vorhänge beiseite, um den Stoff vor dem Anbrennen zu schützen. Dieses viele Gerede über Brandgefahr, mit dem seine Mutter ihm immer in den Ohren lag, veranlaßte ihn dazu. Dann trat er auf den Flur und zog seine grüne Jacke an. Die anderen saßen schon im Auto, als er die Tür abschloß. Er dachte an seine Mutter, ob die wohl auch abgeholt wurde. Davon ging er aber aus.
Jacob Skarre streckte ihm die Hand hin. Er bat um den Hausschlüssel. Emil zögerte. Seine Mutter hatte geputzt. Hatte Abfall weggeworfen und aufgeräumt, war überall gewesen. Er gab den Schlüssel her. Sie hielten ihm die Autotür offen und halfen ihm auf den Rücksitz. Er saß nicht oft in einem Wagen. Er fühlte sich eingesperrt, es machte ihn nervös. Die Polizistin setzte sich hinter das Steuer. Über ihren Rücken hing ein langer blonder Zopf. Er war stramm geflochten und blank wie ein Nylonseil. Emil starrte diesen Zopf an. Er hatte selten so etwas Schönes gesehen, aber sie hätte sich doch eine Schleife gönnen können.
Elsa Mork wurde zur gleichen Zeit festgenommen. Sie wollte mit ihrem Sohn sprechen und wurde fast ausfallend, als ihr das verweigert wurde. Als sei es einfach unerhört und empörend, ihr den Zugang zu ihrem eigenen Sohn zu verbieten. Sie fragte, ob es erlaubt sei, Leute so zu behandeln. Und sie sagten, ja, das sei erlaubt. Sie sagte, Emil Johannes könne überhaupt nicht vernommen werden, ganz einfach, weil er nicht sprechen könne, und sie sagten, ja, das ist uns bekannt. Sie fragten sie, ob ihr Sohn schreiben könne. Sie antwortete ausweichend. Der Boden, auf dem sie über siebzig Jahre lang so sicher gestanden hatte, löste sich unter ihren Füßen auf. Sie mußte sich an die Wand lehnen.
»Seinen Namen«, sagte sie endlich. »Den habe ich ihm beigebracht. Aber sonst – ich weiß nicht so genau, was er kann und was nicht.«
Und gleich darauf schämte sie sich ganz entsetzlich, weil sie das nicht genau wußte.
»Er bekommt die Zeitung«, fiel ihr dann ein. »Aber ich weiß nicht, was er damit macht. Vielleicht findet er es einfach schön, morgens wie andere zum Briefkasten zu gehen und seine Zeitung zu holen. Vielleicht sieht er sich die Bilder an. Vielleicht kann er die Überschriften entziffern«, sagte sie. »Ich weiß es nicht.«
Sie versuchte es mit bitterem Spott: »Machen Sie sich doch selbst ein Bild davon!«
Ihr kam alles unwirklich vor. Sie nahmen ihr ihren Mantel weg, und die Handtasche, die sie so fest umklammerte. Eine Beamtin griff danach, Elsa wehrte sich. Zugleich wurde ihr klar, wie lächerlich das alles war. Aber ohne Handtasche kam sie sich nackt vor. Sie sah zu, wie der Inhalt der Tasche auf dem Tisch ausgeleert wurde. Spiegel und Kamm und Taschentuch. Und ein Portemonnaie aus Kroko-Imitat. Sie stand mit leeren Händen da und schaute sich in den fremden Räumlichkeiten um. Im Zimmer liefen Menschen aus und ein. Sie hatte das Gefühl, daß die sie anglotzten. Nur gut, daß Emil ist, wie er ist. Er braucht nur das zu tun, was er immer schon getan hat. Einfach die Klappe halten.
*
S IE WARTETE IM Verhörzimmer. Sejer ging langsam mit einem Ordner unter dem Arm los. Doch, sie ist eine gute Putzfrau, dachte er. Aber nicht gut genug. Wenn Ida im Haus ihres Sohnes gewesen ist, dann werden wir das feststellen.
Was lief in ihrem Kopf ab? Er stellte sich vor, daß sie sich vor allem um Emil Sorgen machte. Obwohl er sie nicht kannte, ging er davon aus, daß sie stark und ausdauernd war. Sie hatte ein ganzes Leben mit einem Sohn gelebt, der anders war. Einem Sohn, für den sie putzte und aufräumte, für den sie seit fünfzig Jahren alles tat. Wie gut kannte sie ihn? Wie zurückgeblieben war er? Hatte er sich aus eigenem freien Willen von den Menschen zurückgezogen? Das kam vor, manche taten das mit gutem Grund. Was für ein Leben hatte sie geführt? Vielleicht hatte sie kein eigenes Leben, weil sie das nie gewollt oder gekonnt hatte. Sie trat statt dessen in die Leben anderer ein und räumte auf. Er dachte voller Achtung an
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