Schwarze Stunde
und vor allem, wer es tut.«
»Es würde nichts ändern, Corvin«, erwidere ich. »Es sind zu viele, ich weiß selbst nicht genau, wer das eine oder andere ausgeheckt hat. Der ganze Leistungskurs, vielleicht der halbe Jahrgang. Es spielt keine Rolle und ich möchte auch keine Vergeltung. Alles, wonach ich mich sehne ist, dass es endlich aufhört.«
Er lässt mich los. »Ich könnte verrückt werden bei der Vorstellung, dich jeden Tag in der Schule zu sehen und zu wissen, dass ich dich nicht mehr treffen darf«, stößt er hervor. »Wir haben uns doch geschworen, dass wir aufeinander warten, erinnerst du dich nicht mehr?«
»Natürlich erinnere ich mich. Aber du weißt nicht, was ich durchmache. Vor einiger Zeit habe ich dir schon einiges erzählt, aber es wird immer schlimmer. Ich habe Angst, Corvin. Irgendjemand ist unter ihnen, der mich lieber tot sähe, das spüre ich.«
»Jetzt übertreibst du aber.« Seine Stimme klingt scharf. »Lieber tot sähe, so einen Unsinn habe ich noch nie gehört. Wer sollte dich umbringen wollen?«
»Du glaubst mir nicht. Wie könntest du auch, sie machen alles so, dass keine ihrer Taten Spuren hinterlässt. Und Frau Bollmann guckt weg. Aber ich halte es nicht mehr aus. Ich bin nicht die Richtige für dich, du brauchst eine Frau, mit der du offen zusammen sein kannst, statt dich immer zu verstecken.«
»Ich würde auf dich warten«, wiederholt er. »Okay, wir treffen uns nicht mehr, aber ich warte auf dich, bis du die Schule verlassen hast, ja?« Er beugt sich zu mir herüber und kitzelt mich in der Taille, am Schlüsselbein. »Ich will keine andere Frau, ich will nur dich, Valerie; egal wann. Du bist mein Mädchen, meine große Liebe, meine Seelenverwandte. Nur zwischen uns besteht diese Leichtigkeit, nur du regst mich so zum Songs-Schreiben an, gerade weil wir nicht …«
»Ich weiß«, unterbreche ich ihn. »Aber das wiegt es nicht auf. Später einmal erzähle ich dir alles, was passiert ist, aber jetzt …« Ich muss schlucken, den Kloß in meinem Hals wegatmen. »Jetzt geht das nicht. Ich kann nicht mehr. Es ist vorbei, Corvin.«
»Aber du liebst mich doch«, sagt er und versucht mich zu küssen, seine Lippen fühlen sich anders an als sonst, härter, fordernder, seine Hand gleitet in die Öffnung des Bademantels, tastet sich aufwärts bis zu meinem Brustansatz, er macht mir Angst, so ist Corvin nicht, nicht mein Corvin.
»Ja«, stoße ich hervor und schiebe seine Hände weg, »ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Aber trittst du morgen früh vor den Leistungskurs und sagst es den anderen? Und gehst du danach gleich zum Direktor, zu Frau Bollmann, deinem Seminar, meinen Eltern und verkündest, so, liebe Leute, ich habe mich in Valerie Glimm verliebt und will mein Leben mit ihr teilen, egal was ihr sagt und egal, welche Strafen ich dafür bekomme? Wirst du das tun?«
Corvin erstarrt, alle Farbe weicht aus seinem Gesicht.
»Eben«, bekräftige ich. »Und deshalb ist es aus. Es geht nicht mehr. Ich liebe dich, aber es ist vorbei.«
Ich stehe auf, ziehe den Bademantel aus und suche nach meinen Schuhen, die ich vorhin gleich neben der Tür ausgezogen habe, sie lassen sich schwer anziehen, so nass wie sie sind. Corvin ist mir gefolgt, wir umarmen uns noch einmal, lange, lange, wie damals bei unserem ersten Treffen am See, dann stürme ich tränenblind hinaus, irre durch die schmalen Wege der Kolonie, die mir jetzt ohne Corvin wie ein Labyrinth erscheinen, hoffe, dass er mir nachläuft, und hoffe es nicht; irgendwann habe ich die Straße wiedergefunden, den Weg zur S-Bahn, atme tief durch und blicke mich um, es sind keine Verfolger hinter mir, zum Glück, denn heute hätten sie ihren Beweis bekommen, heute, wo ich mit Corvin allein in einem Haus gewesen bin, das er zu seinen Privaträumen zählen kann. Jetzt habe ich den ganzen Weg Zeit, mich zu fassen und lächle nach einigen Schritten sogar vor mich hin.
Es war schön mit dir, Corvin, denke ich, als ich in meinen Zug zurück nach Hause eingestiegen bin und mich auf eine freie Zweierbank setze. Danke.
19.
D u hast Schluss gemacht?« Alena steht in ihrer Wohnungstür und starrt mich an, als könne sie nicht glauben, was ich eben erzählt habe. »Bist du ganz sicher, dass du das wirklich wolltest? Du liebst ihn doch so. Wie du aussiehst, ganz dunkle Ringe unter den Augen.«
»Kein Wunder, ich hab kaum geschlafen«, antworte ich und fühle schon wieder Tränen in mir aufsteigen. Nach der ersten Erleichterung
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