Schwarze Stunde
lande ich demnächst in der Anstalt. Aber jetzt spüre ich, wie ich innerlich ruhiger werde. Heute noch sind Corvin und ich allein. Dieses eine letzte Mal wird uns niemand stören, noch nicht. Einen Nachmittag lang gibt es nur uns beide, die Welt lassen wir draußen, einmal noch kann ich mich auftanken an ihm und er sich an mir, es wird lange reichen müssen. In meiner Brust zieht es plötzlich vor Sehnsucht danach, ihn endlich zu berühren.
Aber ich bin gekommen, um mich von ihm zu trennen. Um Schluss zu machen, ihm zu sagen, dass das mit uns nichts werden kann. Alles in mir schreit innerlich vor Schmerz, als er jetzt in eine Kleingartenkolonie einbiegt und seinen Wagen auf dem Sandweg vor einer der zahlreichen, bei diesem Wetter verlassenen Lauben parkt. Was für eine geniale Idee, hier wird uns wirklich niemand vermuten, Corvin lacht, als er mein verdutztes Gesicht sieht. Wir steigen aus, nachdem wir uns sicherheitshalber erneut umgesehen haben, ob uns niemand gefolgt ist. Den Namen an der Gartenpforte kenne ich nicht, aber er nimmt einen Schlüssel aus der Jackentasche und öffnet sie.
»Die Laube gehörte meiner Tante, die kürzlich verstorben ist«, erklärt er. »Du erinnerst dich sicher, am Tag ihrer Beerdigung war ich nicht in der Schule. Hier dürfte uns niemand finden.« Er geht mir voraus auf den flachen Bungalow zu, ein schmaler Weg führt an verwilderten Farnen und Sträuchern und einem lange nicht gejäteten Gemüsebeet vorbei. Unwillkürlich stelle ich mir vor, wie Corvin und ich im Sommer hier sind, weit weg von der Schule und allen Problemen; außer von der Pforte aus ist die Parzelle fast uneinsehbar durch die hohen Hecken, die sie umgeben. Es könnte so schön sein, so romantisch, wir würden abends zusammen grillen und er würde am Feuer Gitarre spielen, vielleicht würde ich singen, mit ihm zusammen könnte ich das bestimmt, und manchmal hätten wir Freunde zu Besuch, in seinem und meinem Alter, wir würden nur Leute einladen, die nicht nur nach Paragrafen, Gesetzen und Klischees schauen, wenn es um die Liebe geht, sondern die uns als ungewöhnliches Paar akzeptieren, so wie wir sind, weil sie sich selber auch ihre Partner nach dem Herzen ausgesucht haben und nicht danach, was andere normal und richtig finden. Aber ich muss meine Tagträume begraben, es ist kein Spaß mehr, ich muss da jetzt durch. Es zerreißt mir das Herz, dass er es noch nicht weiß, er sperrt die Tür auf und bittet mich hinein, als würde er mir ein Märchenschloss präsentieren. Mit einem einzigen Schritt bin ich drin und Corvin schließt eilig und lautlos die Tür hinter uns. Gibt es ein Rezept dafür, wie man schmerzlos mit seiner großen Liebe Schluss machen kann?
Gibt es nicht. Einen Moment lang bleibe ich noch in dem winzigen holzvertäfelten Flur stehen und versuche mich zu sammeln, hier im Inneren der Laube riecht es ein wenig nach alten Leuten und danach, dass lange nicht gelüftet und geheizt worden ist. Immerhin sind die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, stelle ich beruhigt fest. Mich fröstelt in meinen nassen Sachen, Corvin öffnet einen kleinen Kasten an der Wand und stellt einen Sicherungsschalter an.
»Es wird bald wärmer«, verspricht er und umarmt mich, rubbelt mich warm. Ganz fest hält er mich und lacht sein fröhliches, befreites Lachen, ich fühle seine Brust an meinem Körper beben und seinen Atem in kleinen Stößen an meinem Hals, seine Haare kitzeln meine Stirn, und er ist warm, nur ich zittere, Schauer um Schauer überläuft mich wie kleine Stromstöße. Corvin, Corvin, Corvin. Ich bin bei ihm, das allein zählt, ich schmiege mich an ihn und lache mit, fast noch mit Tränen in den Augen, aufgewühlt, traurig und glücklich zugleich, ich bin hier bei ihm und weiß, dass es das letzte Mal ist, weil sie bestimmt wieder auf der Suche nach uns sind, weil sie mich dafür verachten, dass ich jetzt in Corvins Armen liege, in den Armen unseres Lehrers, es ist alles so verrückt.
Er küsst mich beim Lachen, küsst meine offenen Lippen, sein schön geschwungener, froher Mund tastet meine Wangen ab, wandert den Hals entlang bis hinunter zum Schlüsselbein, an dieser Stelle bin ich kitzlig, auch ich wandere mit meinen Lippen über jeden Zentimeter seiner Haut, den ich treffen kann, sein Kinn, seine Schläfen, die drahtigen Haare vor seinen Ohren, beiße vorsichtig in sein linkes Ohrläppchen, fahre mit der Zunge über seinen Hals, küsse seinen Adamsapfel, seine Nasenspitze, seine Stirn und spüre
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