Schwarze Stunde
nach mir aus.
»Du siehst hinreißend aus«, flüstert er und zieht mich zu sich aufs Sofa. »Selbst in diesem Omabademantel. Bleib doch einfach für immer bei mir, ich würde alles mit dir teilen. Du müsstest nicht mal shoppen gehen, ich finde dich in allen Klamotten toll, und du könntest auch einfach welche von mir anziehen. Wir sind ja fast gleich groß.«
Ich versuche, mich nicht an ihn zu schmiegen. Was er sagt, rührt mich einerseits, aber es macht mich auch ein bisschen stutzig. Klar ist es schön zu wissen, dass ich ihm in jedem noch so peinlichen Outfit gefalle, aber so wie er es ausdrückt, hört es sich an, als sollte ich ein Teil von ihm werden. Ein Mädchen ohne eigene Kleider ist wie eins ohne eigenen Willen, ohne Persönlichkeit. Er weiß doch, dass ich das nicht leiden kann, dass ich genau davon genug hatte. Um meinen Hals legt sich ein Ring aus Stahl, bitte nicht auch noch er, gerade bei ihm habe ich mich immer so frei gefühlt, so ungezwungen, von ihm angenommen, so wie ich bin. Corvin will doch, dass ich mich weiterentwickle, eigene Gedanken habe, nie hat er sich so besitzergreifend verhalten wie Alena oder Manuel. Wenn die Worte aus deinem Inneren kommen, sind sie etwas Besonderes , hat er damals im Flugzeug über mein Tagebuch und meine Gedichte gesagt. Er soll nicht auch noch anfangen, mich besitzen zu wollen. Unwillkürlich mache ich meinen Körper steif, er bemerkt es sofort.
»Was hast du?«, fragt er, mustert mich unter hochgezogenen Augenbrauen.
»Der Bademantel ist echt gemütlich«, stimme ich vorsichtig zu, um irgendwie zu beginnen.
»Du kannst ihn behalten«, bietet er mir an und schenkt uns beiden Tee ein. »An dir wirkt er wie ein Designerstück.«
»Corvin.« Während er seine Tasse aufnimmt und mit einem vorsichtigen Schluck die Temperatur prüft, lasse ich meine unberührt. »So einfach ist das leider nicht, den Bademantel behalten und alles ist gut. Und ich kann auch nicht alles mit dir teilen.« In meinem Magen breitet sich ein Ziehen aus, jetzt muss es heraus, auch wenn mein Herz rast wie verrückt. Gleich ist es vorbei. »Das mit uns … ich kann das nicht mehr. Die anderen hören nicht auf, mir unseretwegen Stress zu machen, die Einzelheiten willst du gar nicht alle wissen. Es zermürbt mich, ich werde noch krank davon, und sosehr ich auch immer wieder beteuere, es sei nichts zwischen uns, niemand glaubt mir. Sie hören nicht auf, Corvin. Erst wenn wir wirklich auseinander sind und ich wieder in meinem alten Leben angekommen bin, werden sie mich in Ruhe lassen.«
Corvin schweigt. Fährt mit seinem Zeigefinger meinen rechten Oberschenkel hinauf und hinunter, unaufhörlich; so sehr ich solche Berührungen von ihm sonst genossen habe, so verrückt machen sie mich jetzt, er soll es mir nicht so schwer machen, er soll begreifen, worum es geht. Ich sitze weiter neben ihm wie erstarrt.
»In deinem alten Leben ankommen«, wiederholt er schließlich. »Und was bedeutet das? Willst du zu Manuel zurück?«
»Vor allem will ich nicht mehr Tag und Nacht all diesen Schikanen ausgesetzt sein.«
»Tag und Nacht?«
»Nachts auch, ja. Ich kann das nicht mehr, und es sind nicht nur Manuel mit seiner Eifersucht und Alena, die von uns weiß. Es müssen noch viel mehr sein, die halbe Schule vielleicht.«
»Also hat Alena gequatscht.« Corvin zieht seine Hand von mir weg. »Scheiße.«
»Das muss gar nicht sein. Gerüchte machen sich schneller selbstständig, als du gucken kannst, das hast du doch selber mal gesagt. Wirklich, Corvin, lass uns aufhören. Sonst wird alles immer schlimmer.«
»Aber in ein paar Tagen bist du volljährig«, erinnert er mich, »und in wenigen Monaten hast du auch die Schule geschafft. Danach steht uns nichts mehr im Weg, wir können zusammen sein, so viel wir wollen. Ich dachte, unsere Liebe wäre stark genug, um diese Zeit zu überstehen.«
»Es sind nicht nur wenige Monate bis zum Abi, Corvin. Bis dahin dauert es noch ein Dreivierteljahr. Du weißt nicht, was ich durchmache, dir tut ja keiner was!«
»Dann sag es mir.« Er nimmt meine Hände in seine, lässt sie wieder los, nimmt mein Gesicht und zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen. Genau in diesen Augen erkenne ich plötzlich etwas, das ich noch nie wahrgenommen habe, etwas Manisches flackert darin auf, und die Wärme, die mir immer so viel Halt gegeben hat, suche ich vergeblich. Ganz leicht schüttelt er den Kopf, ich spüre, wie sehr er sich beherrschen muss. »Verrate mir, was dir angetan wird,
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