Schwarze Stunde
Schulter-Nacken-Bereich schmerzt so sehr, dass es gut tut.
»Du bist ganz schön hart«, stellt Alena fest und verstärkt ihren Griff.
»Warum tust du das alles für mich?«, frage ich leise. Erinnere mich und sie an den Abend auf dem Spielplatz, an ihr Liebesgeständnis, ihre Vorwürfe, die Verzweiflung in ihr, für die ich nichts konnte. »Ich will nicht, dass du dir Hoffnungen machst, die ich nicht erfüllen kann. Und ich will dich als Freundin nicht verlieren. Ich stehe nur eben nicht auf Frauen.«
Einen Moment lang hält sie inne, dann fährt sie mit ihrer Massage fort.
»Ich weiß«, antwortet sie schließlich. »Das brauchst du auch gar nicht. Aber wir haben nun mal nur uns. Das merkst du ja jetzt.«
Der Film, den wir danach ansehen, rauscht an mir vorbei, Alena hat irgendeine amerikanische Komödie eingelegt. Auch sie schaut nur ab und zu hin; die meiste Zeit fühle ich ihren Blick auf mich geheftet, sie beobachtet mich, nimmt jede meiner Regungen auf und versucht darauf zu reagieren, schiebt mir Knabberzeug und Obst hin, holt gekühlte Getränke aus der Küche, blättert in einer Zeitschrift, um eine Probe Haut beruhigende Gesichtscreme herauszulösen und mir zu reichen. Ich schaffe es nicht, ihr zu sagen, dass es mir lieber wäre, sie würde sich weniger bemühen.
Gegen Mittag rufe ich meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass ich nicht zum Essen nach Hause komme und erzähle ihr, was Alena und ich vorhaben.
»Das wollte ich doch mit dir machen«, beschwert sie sich. »Meinetwegen kann Alena gerne mitkommen, aber ohne Auto bekommt ihr die Sachen doch gar nicht weg! Ihr braucht ja jede Menge Getränke, wer soll das denn alles schleppen?«
Wir vereinbaren, dass Mama uns abholt.
»Schmink dich noch schnell ein bisschen«, schlägt Alena vor und reicht mir schon ihre Mascara. »Dann stellt sie dir keine Fragen.«
Gemeinsam machen wir uns im Bad fertig, zum Glück sehe ich nicht mehr ganz so schlimm aus wie heute früh. Alena besitzt ganz andere Lidschattenfarben als ich, sie stehen auch mir, aber sie verändern mich, ebenso wie die Frisur, die mir Alena mit wenigen geschickten Handgriffen zaubert: Sie steckt meine Haare hoch und zieht mir einen Scheitel im Zicksack, was den Haaren ein ganz neues Volumen verleiht, mich älter macht. Fremder.
»Du siehst toll aus«, bestätigt Alena, und vielleicht hat sie sogar recht, aber ich denke daran, wie verrückt das ist; noch keine vierundzwanzig Stunden ist es aus zwischen Corvin und mir, und schon dreht sich mein Lebensrad weiter, ich bin in Hektik und habe etwas vor, ohne ihn, dazu noch in einem neuen Look, als hätte es ihn nie gegeben, als wäre alles ganz einfach ohne uns als Paar, als würde nicht alles in mir nach ihm schreien.
»Lässt du mich kurz allein?«, frage ich sie, als wir beide mit unserem Spiegelbild zufrieden sind, und schließe mich ein, um unbeobachtet mein Handy zu checken. Er könnte geschrieben haben. Bestimmt vermisst er mich genauso wie ich ihn, bestimmt tut es auch ihm so weh. Er wollte es schon gestern nicht wahrhaben und heute war ich nicht in der Schule. Wenn eine Nachricht von ihm gekommen ist, kann ich antworten, ihn beruhigen. Es geht nicht mit uns, aber wir sind nicht aus der Welt, sicher braucht er diese Gewissheit so nötig wie ich. In mir fühlt sich alles an wie abgestorben, aber noch lebe ich. Mit fliegenden Fingern öffne ich meinen Posteingang. Sie haben keine neuen Nachrichten , steht darin. Ich falle wieder in mir zusammen.
Meine Mutter fährt mit uns in den Großmarkt; von ihrem Chef hat sie dessen Berechtigungskarte geliehen bekommen. Kaum haben wir die Halle betreten, verfallen Alena und sie in Betriebsamkeit, beladen unseren Einkaufswagen mit Pappgeschirr, Plastikbesteck, riesigen Bottichen mit Fertigsalaten und roter Grütze, stemmen Wasser- und Colakästen, suchen Servietten und Kerzen aus. Ich selber funktioniere irgendwie, nicke ihre Vorschläge ab, helfe mit, alles platzsparend in den Wagen zu legen, beantworte Fragen.
»Alkohol«, sage ich, als wir an der Spirituosenabteilung vorbeigehen. »Alkohol brauchen wir. Zum Cocktails-Mixen.«
Meine Mutter runzelt die Stirn. »Denkt daran, was mit Manuel passiert ist«, erinnert sie uns. »Einige Leute scheinen noch nicht angemessen damit umgehen zu können. Nicht, dass wieder einer im Krankenhaus landet; dafür möchte ich nicht die Verantwortung übernehmen.«
»Mama, ich werde volljährig«, entgegne ich und blicke an die Decke. »Da gehört das dazu und die
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