Schwarzer Engel
sollte. Sie konnten ihre Beziehung nicht öffentlich machen. Niemals. Doch eine andere Stimme kam ihm zuvor.
„Lysander. Bist du zu Hause?“
Sofort erkannte Lysander den Sprecher. Es war der Kriegerengel Raphael. Panik drohte ihn zu ersticken. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass der Mann ihn so sah. Dass irgendeiner seiner Brüder und Schwestern ihn mit der Harpyie sah.
„Wir müssen über Olivia reden“, rief Raphael. „Darf ich eintreten? Irgendeine Barriere hält mich davon ab.“
„Noch nicht“, entgegnete er laut. War die Panik in seiner Stimme hörbar? Nie zuvor hatte er Panik empfunden, deshalb wusste er nicht, wie er sie bekämpfen sollte. „Warte auf mich.Ich komme hinaus.“ Er setzte sich auf und glitt aus dem Bett, fort von Bianka. Vom Fußboden hob er sein Gewand auf – oder vielmehr dessen Überreste – und zog es sich über. Sofort fügte es sich wieder zusammen und umhüllte seinen Leib. Zugleich reinigte der Stoff ihn, wusch Biankas Geruch fort.
Letzteres verfluchte er im Stillen. Es ist besser so .
„Lass ihn rein“, bot Bianka an und wickelte sich ahnungslos in die Decke. „Das macht mir nichts aus.“
Lysander wandte ihr weiter den Rücken zu. „Ich will nicht, dass er dich sieht.“
„Keine Sorge. Ich hab meine sündige Nacktheit bedeckt.“
Er erwiderte nichts. Anders als sie würde er niemals lügen. Und wenn er sie nicht anlog, würde er sie verletzen. Auch das wollte er nicht.
„Jetzt ruf ihn schon rein“, wiederholte sie lachend. „Ich will sehen, ob alle Engel aussehen wie die Sünde und sich benehmen wie Heilige.“
„Nein. Ich will ihn jetzt nicht hier drin haben. Ich werde hinausgehen, um mit ihm zu sprechen. Du wirst hierbleiben“, erklärte er. Noch immer konnte er sie nicht ansehen.
„Augenblick mal. Bist du eifersüchtig?“
Er antwortete nicht.
„Lysander?“
„Sei leise. Bitte. Wolken haben dünne Wände.“
„Leise …?“ Einen Augenblick war es so still, wie er sich erbeten hatte. Nur dass ihm das nicht gefiel. Er hörte Stoff rascheln, ein scharfes Luftholen. „Du willst, dass er nicht erfährt, dass ich hier bin, stimmt’s? Du schämst dich für mich“, sagte sie, offensichtlich geschockt. „Du willst nicht, dass dein Freund erfährt, dass du mit mir geschlafen hast.“
„Bianka.“
„Nein. Du hast jetzt Sendepause.“ Mit jedem Wort wurde ihre Stimme lauter. „Ich war bereit, dich zur Hochzeit meiner Schwester mitzunehmen. Obwohl ich wusste, dass meine Familie mich auslachen oder voller Widerwillen ansehen würde.Ich war bereit, dir eine Chance zu geben. Uns eine Chance zu geben. Aber du nicht. Du wolltest mich verstecken. Als wäre ich etwas, wofür man sich schämen muss.“
Er fuhr zu ihr herum, brennende Wut in den Adern. Auf sie, auf sich. „Du bist etwas, wofür ich mich schämen muss. Wesen wie dich töte ich normalerweise, statt mich in sie zu verlieben.“
Sie erwiderte nichts. Sie sah einfach nur mit großen Augen schmerzerfüllt zu ihm auf. So viel Schmerz, dass er nach hinten stolperte. Jetzt fuhr auch durch seine Brust ein scharfer Stich. Doch vor seinen Augen verwandelte ihr Schmerz sich in einen Zorn, der den seinen bei Weitem überstieg.
„Dann töte mich“, knurrte sie.
„Du weißt, dass ich das nicht tun werde.“
„Warum nicht?“
„Darum!“
„Lass mich raten. Weil du tief in deinem Inneren immer noch denkst, du könntest mich ändern. Du glaubst, ich würde zu der reinen, tugendhaften Frau, die du gern hättest. Wer bist du denn, dass du bestimmst, was tugendhaft ist und was nicht?“
Darauf hob er nur eine Augenbraue. Die Antwort lag auf der Hand, er brauchte sie nicht auszusprechen.
„Ich hab dir gesagt, dass ich von jetzt an nur noch den Bösewichten Schaden zufüge, stimmt’s? Tja, Überraschung! Das mache ich schon von Anfang an. Der Kuchen, den ich gegessen habe? Der Inhaber dieses Restaurants betrügt beim Kartenspiel, nimmt Geld, das ihm nicht zusteht. Das Portemonnaie, das ich gestohlen habe? Ich hab’s einem Kerl weggenommen, der seine Frau betrügt.“
Blinzelnd blickte er auf sie hinab, unsicher, ob er sie richtig verstanden hatte. „Warum solltest du mir so etwas vorenthalten?“
„Warum sollte es etwas an deinen Gefühlen für mich ändern?“ Sie warf die Decke beiseite und stand auf, betörend in ihrer Nacktheit. Noch immer glühte ihre Haut, regenbogenfarbiges Licht glitzerte darauf – diese Haut hatte er berührt.Dunkles Haar lag ihr in Wellen um die Schultern
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