Schwarzer Koks (German Edition)
hättest dich querlegen sollen«, sagte Lucia.
»Das hätte auch nichts geändert.«
»Du hast also davon gewusst?«
Joanna schwieg einen Augenblick. »Ich habe vor dem Meeting Octavia und Carlo darüber reden hören.«
»Du hättest mich warnen können.«
»Du wolltest doch nichts hören. Aber deswegen rufe ich nicht an. Ich habe Angst. Es sind Männer hinter mir her.«
Lucia lachte. »Ist doch nichts Neues.«
»Ich meine es ernst. Sie stehen draußen vor dem Haus. Sie sehen ständig zu mir herauf.«
»Das bildest du dir ein.«
»Du sagst doch immer, dass wir hier in Kolumbien sind. Und dass hier jeden Tag Leute umgebracht werden.«
Lucia warf einen Blick auf das Bild ihres verstorbenen Bruders Diego an der Wand über ihr: Surfboard unter dem Arm, die Brauen zusammengezogen gegen die Sonne, das lange Haar in Strähnen an die Wangen geklebt, sein übergewichtiger Körper voll Sand.
Ich kriege sie, Diego. Die Kartelle, den Geheimdienst. Ich versprech’s.
»Hast du denn keine Angst?«, fragte Joanna.
»Nicht wirklich.« Lucia schluckte. »Eigentlich gar nicht. Nein. Treffen wir uns doch wie üblich. In einer Stunde.«
Lucia griff sich ihren Mantel und lief aus der Wohnung. Die Tür schlug hinter ihr zu. Sie dachte daran, den Aufzug zu nehmen, entschied sich aber für die Treppe. Ging schneller. Selbst wenn der Aufzug mal nicht steckenblieb.
Lucia war im zweiten Stock angekommen, als flackernd das Licht ausging. Außer ihren Schritten war nichts zu hören. Sie fluchte. Das Standby-Licht am Timer war wieder mal kaputt; das Haus ging aber auch wirklich aus dem Leim. Wenn die Gauner vom Geheimdienst ihr nicht das Geld ihres Vaters gestohlen hätten, könnte sie jetzt auch in Santa Barbara wohnen. Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte sein schmutziges Geld ohnehin nie wirklich haben wollen.
Eine Hand legte sich über ihren Mund.
Sie versuchte zu schreien, aber die Hand verschloss ihr den Mund. Ein kräftiger Arm umfasste ihre Taille von hinten und schloss sich wie eine Schlinge um sie.
Lucia versuchte ihren Angreifer gegen das Schienbein zu treten. Er pinnte sie gegen die Wand. Sie biss in die Hand, aber die ließ nicht locker. Sie rammte ihren Ellbogen nach hinten. Ihr Knochen traf auf festes Fleisch.
»Beruhigen Sie sich«, sagte eine tiefe Männerstimme in einem Spanisch mit dickem englischem Akzent. Sie sah sich umgedreht und stand dann mit dem Rücken zur Wand. Die Hand lag noch über ihrem Mund.
»Ich tue Ihnen nichts«, sagte der Mann. Das Licht ging wieder an.
Sie starrte in ein von langem wildem Haar gesäumtes Gesicht. Der ernste, müde Blick rotgeränderter dunkler Augen verschränkte sich mit dem ihren. Sein Atem schien müde und flach.
»Ich muss mit Ihnen reden. In ihrer Wohnung. Okay?«
Lucia starrte ihn an.
»Okay?«, wiederholte er. Sie nickte.
Langsam nahm er die Hand von ihrem Mund. Lucia versuchte sich ihm zu entwinden.
»Wir müssen reden.« Er ergriff ihren Arm. »Es ist dringend.«
»Sie tun mir weh.«
Er zog sie die Treppe hinauf. »Kommen Sie.«
»Lassen Sie mich!«
»Vertrauen Sie mir. Ist nur zu ihrem Besten.«
Es war etwas in seiner Stimme, eine gesetzte Selbstsicherheit, die Lucia einlenken ließ. Sie stiegen die Treppe hinauf. Als sie in der Wohnung waren, verschloss er die Tür und wies auf einen Sessel. »Setzen Sie sich«, sagte er.
Sie blieb stehen.
»Wie Sie meinen.« Er setzte sich auf die Couch. Er sah sich im Zimmer um. Sein Blick blieb an den cremefarbenen Sesseln hängen, der Auswahl von Postern mit moderner Kunst an der Wand. Die Regale quollen über vor Büchern aller Art. »Hübsch haben Sie’s. Wie ich sehe, sind Sie eine eifrige Leserin.«
»Wer sind Sie?«
Er pausierte einen Augenblick, als überlegte er, ob er darauf antworten sollte.
»Nathan Kershner«, sagte er schließlich. »Serious Organised Crime Agency, England.«
»Was wollen Sie?«
»Sie haben zwei
sicarios
vor der Tür.«
Sie sah ihn an. Seine Augen hatten etwas zutiefst Trauriges. Sie erkannte darin ihren eigenen finsteren Blick, der sie seit der Ermordung ihrer Familie im Spiegel ansah. Sie hatte das nie jemandem erklären können. Es war der Blick einer Person, die von Kummer, Wut, Schmerz, Verzweiflung und …
Sie ging Richtung Tür.
»Die bringen Sie um«, rief Nathan ihr nach.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zu der Balkontüre.
»Nicht!«, sagte Nathan. Sie drehte sich um.
»Sie sitzen in dem grauen Ford, schräg gegenüber«, sagte er. »Zwanzig Meter
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