Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
war einer davon. Nichts, was ich entdeckte, wies darauf hin, dass Simone und ihre Schwestern auch nur den leisesten Schimmer gehabt hatten, was für Schmerz und Leid sie verursachten. Dr. Walid versuchte halbherzig, mich davon zu überzeugen, dass Simone sich ihrer Taten vollkommen bewusst gewesen war und ich auf die plumpe Täuschung eines kranken, soziopathischen Monsters hereingefallen war. Aber ich wusste, dass er mich nur trösten wollte.
Ich verfasste eine ausführliche Fallbeschreibung mit Fußnoten und allem Drum und Dran, druckte sie aus, heftete die Sekundärdokumente daran, legte alles in eine Ablagebox und schloss das Ganze in den Sicherheitsschrank der allgemeinen Bibliothek ein. Dann löschte ich die Daten von meinem Computer und manipulierte die Fallidentifikationsnummer in HOLMES und der Datenzentrale so, dass jeder Versuch, darauf zurückzugreifen, eine Warnung auslöste. Es war natürlich möglich, dass irgendein investigatives Journalistengenie bemerken würde, dass eine Reihe ganz unterschiedlicher rechtsmedizinischer Untersuchungen dieselbe Fallreferenznummer der Metropolitan Police trugen, aber da keine Fußballer, Popstars oder Mitglieder der königlichen Familie darin verwickelt waren, beschloss ich, mir darüber keine Sorgen zu machen.
Mehr Sorgen bereitete mir der Gesichtslose, der Mann mit der Maske, der Feuerbälle fangen und Schornsteine aufhalten konnte. Das Einzige, was ich noch alarmierender fand als die Vorstellung von einem voll ausgebildeten Zauberer mit krankhaftem Hang zu Menschenexperimenten war der Gedanke, dass Geoffrey Wheatcroft in seinemkleinen Zauberclub wohl mehr als nur einen Lehrling ausgebildet hatte. Wie viele kleine Krokodile gab es wohl noch, und wie viele davon waren gestörte Scheißkerle wie der Gesichtslose? Nightingale machte sich darüber auch Gedanken, das wusste ich, weil wir viel mehr Zeit als früher im Schießstand verbrachten.
Am ersten Montag im Oktober hatten mein Dad und die Hilfstruppen ihren ersten Auftritt unter ihrem neuen Bandnamen. Er fand im Round Midnight am Chapel Market in Islington statt. Mein Dad absolvierte den Zwei-Stunden-Gig mit Bravour und ohne einen einzigen Aussetzer, und während des berühmten Solos in
Love for Sale
gab es einen Augenblick, wo sein Gesichtsausdruck so überirdisch wurde, dass ich mich fragte, ob zwischen Musik und Magie tatsächlich eine Verbindung bestand, ob Jazz womöglich wahrhaftig Leben war.
Nach dem Gig war er völlig fertig, so sehr er sich auch bemühte, es zu verbergen, also setzte ich ihn und Mum in ein Taxi, gab dem Fahrer ein Trinkgeld und wedelte außerdem kurz mit meinem Dienstausweis, damit er sich am anderen Ende der Reise auch anständig benahm. Dann ging ich mit Max, Daniel und James zur Feier des Abends einen trinken, aber da das Round Midnight unser Budget ein wenig überstieg, schlichen wir uns ein Stück weiter ins Alma, wo es billigeres Bier und einen Fernseher mit dem Fußball-Bezahlkanal gab.
»Die haben angefragt, ob wir noch mal dort spielen«, sagte James.
»Das liegt daran, dass die Leute Durst kriegen, wenn sie uns hören«, sagte Max. »Ist gut fürs Geschäft.«
»Musik ist immer gut fürs Geschäft«, sagte James.
»Glückwunsch«, sagte ich. »Ihr habt’s geschafft – ihr seid eine richtige Band, und fremde Leute zahlen Geld, um euch spielen zu hören.«
»Dank deinem Vater«, sagte Max.
»Und Cyrus«, fügte Daniel hinzu.
»Auf Cyrus«, sagte Max, und wir stießen feierlich an.
»Hast du je rausgekriegt, was passiert ist?«, wollte James wissen. »Mit Cyrus, meine ich.«
»Nee, Kumpel. Ermittlungen leider ohne Ergebnis eingestellt.«
Er hob das Glas. »Auf die ungelösten Rätsel der Jazzpolizei.«
Wir stießen auch darauf an.
»Und auf Lord Grants Hilfstruppen«, sagte ich, und wir stießen noch einmal an.
So ging es drei Runden lang weiter, dann gingen wir noch ein Curry essen und dann nach Hause.
Nicht, dass ich wirklich Albträume hatte. Ich schlief eigentlich ganz gut, aber manche meiner Erinnerungen sind so stark wie
Vestigia
. Der Geruch von Geißblatt, ihr prustendes Lachen, ihre Rundungen, wenn sie in meinen Armen lag. Manchmal hält mich das bis in die frühen Morgenstunden wach.
Ich hatte also eine Affäre mit einer Jazzvampirin gehabt. Auf verrückte Art ergab es irgendwie Sinn. Die Göttin eines kleinen Flusses in Südlondon, dann eine Jazzvampirin aus Soho. Was würde als Nächstes kommen? Eine Werwölfin aus Chelsea, ein Sukkubus aus
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