Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
Uhr vorstellt. Drei Flaschen standen darauf, eine für jede. In meiner Brust schien sich ein Abgrund zu öffnen, und in meinen Ohren dröhnte es, aber ich zwang mich, die Stufen hinunterzusteigen und mich ihnen zu nähern. Sie trugen noch die Kleidung, in der sie geflohen waren, aber sie hatten sich mit Lippenstift und Mascara alle Mühe gegeben, präsentabel auszusehen. Bei der späteren Untersuchung durch Dr. Walid stelltesich heraus, dass sie Alkohol und Phenobarbital benutzt hatten, wozu die leeren Tablettenpackungen passten, die sauber und ordentlich in Peggys Handtasche steckten.
Die wenigsten Suizide sehen hübsch aus, aber den Schwestern war es gelungen, nicht zusammenzusacken, vom Stuhl zu rutschen oder ihre Klamotten mit Erbrochenem zu bekleckern. Ich glaube, sie wären zufrieden mit dem Bild gewesen, das sie abgaben – drei hübsche junge Dinger, in der Blüte ihres Lebens dahingerafft. Ich war so wütend, dass ich erst mal anhalten und tief durchatmen musste, bevor ich weitermachen konnte.
Simones Augen waren offen. Ihr Haar fiel ihr lose um die Schultern. Ich musste es zurückstreichen, um ihre Halsschlagader ertasten zu können. Ihre Haut war kaum abgekühlt. Der Todeszeitpunkt wurde später auf etwa zwanzig Minuten vor meiner Ankunft eingegrenzt – ungefähr zu der Zeit, als ich mit Nightingale über komparative Ethik diskutiert hatte. So dicht neben ihr konnte ich noch Geißblatt und Ziegelstaub riechen. Aber die Musik, von der mir erst jetzt klar wurde, dass sie die ganze Zeit zu hören gewesen war, war verstummt.
Ich küsste sie nicht oder irgendwas in der Art.
Ich wollte ja nicht den Tatort kontaminieren.
Am Tag danach steht man folgendermaßen auf: Man schiebt die Bettdecke zurück, rollt sich auf die Seite, setzt die Füße auf den Boden und stellt sich darauf. Dann geht man aufs Klo, badet, zieht sich an, geht nach unten, frühstückt, redet mit seinem Chef, übt seine
Formae
, isst zu Mittag, schlägt den Punchingball im Fitnessraum kurz und klein, duscht, zieht sich etwas anderes an, steigt in den Ford Asbo und fährt in die Stadt, um sich dort sehen zu lassen. Das tut man, weil es zum Job gehört, weil es nötig ist und – wenn man ganz ehrlich ist – weil man es gerne macht. Dieser Prozess ist zu wiederholen, bis die Albträume aufhören oder man sich an sie gewöhnt hat – je nachdem, was zuerst der Fall ist.
Es gab eine kurze amtliche Bekanntmachung eines dreifachen Suizids, die ihnen flüchtigen Ruhm als gemeinschaftliche Selbstmörderinnen einbrachte. Aber niemand in den Medien war so interessiert, dass er weitere Nachforschungen angestellt hätte. Die polizeiliche Nachuntersuchung übernahm Nightingale mit Hilfe einiger von der Westminster-Kriminalabteilung ausgeliehener Detective Constables, darunter meine Lieblings-Somali-Ninja. Da man ihnen nicht gut erzählen konnte, dass die Opfer unsterblicheJazzvampire gewesen waren, blieb es an mir hängen, die Geschichte bis zum Krieg zurückzuverfolgen.
Simone Fitzwilliam, Cherie Mensier und Margaret »Peggy« Brown waren 1941 von ihren Eltern als vermisst gemeldet worden. Die Polizei war der Sache zwar nachgegangen, aber bestenfalls flüchtig – wer konnte es ihr verdenken? Schließlich stand die ganze Stadt in Flammen. Ich überlegte, ob ich nach ihren nächsten Verwandten suchen sollte, aber was hätte ich denen sagen sollen? Dass irgendeine halbvergessene Großtante zwar bei der berühmten Bombardierung des Café de Paris gestorben war, sich aber noch eines langen, höchst vergnüglichen Nachlebens erfreut hatte – bis ich daherkam und sie zum zweiten Mal umbrachte? Na ja.
Aber ihre Lehrerin Miss Patternost spürte ich auf. Sie hatte nach dem Krieg den Großen Teich überquert und war mit einer gewissen Sadie Weintraub, Produktionssekretärin bei Warner Bros., zusammengezogen, die in Glendale einen recht hübschen Bungalow im Ranch-Stil besaß.
Ich fand auch Leute, die nach dem Krieg in Soho aufgewachsen waren und sich an die drei jungen Mädchen erinnerten, die in der Berwick Street gewohnt hatten. Manche hatten sie für Prostituierte gehalten, andere für Lesben, aber die Mehrheit hatte keinen Gedanken an sie verschwendet – so war Soho damals eben.
Ich fand genug Beweismaterial, um ihnen fünfzehn weitere Todesfälle anzulasten, alles Jazzmusiker, und in sechsundneunzig Fällen hatten sie vermutlich zu chronischen gesundheitlichen Problemen und gescheiterten Karrierenbeigetragen. Mein Dad
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