Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Viper, stülpte Sybilla die offene Tasche über den Schlangenkopf. Hergarten sah, wie die Viper vorschnellte, um den Feind anzugreifen, und damit vollends in der Tasche verschwand. Der Verschluß klappte zu, das kleine Schloß rastete ein. Mit einem Schwung warf Sybilla die Tasche weit weg und stürzte auf Hergarten zu. Mit ausgebreiteten Armen umfing sie ihn, drückte das Gesicht an seine Brust und begann, wie ein Kind zu weinen. Alle Anspannung, alles Grauen löste sich in diesem Schluchzen; sie klammerte sich an ihn fest wie ein kleines, Schutz suchendes Mädchen, und ihr Körper zitterte wie im Schüttelfrost. Das Bewußtsein, dem Tode so nahe gewesen zu sein wie nie zuvor, überfiel sie erst jetzt, und da half kein Mut mehr, keine einexerzierte Kaltblütigkeit … ihre Nerven flatterten, und sie war glücklich, Hergarten zu haben, an den sie sich klammern und ausweinen konnte.
Hergarten umfaßte sie mit beiden Armen und ließ sie weinen, ohne ein Wort zu sagen. Was sollte man jetzt auch sagen. Hier gab es keine Worte mehr. Aber das Gefühl, zusammenzugehören, das Gefühl, sich zu lieben, war herrlich.
Sie ist doch nur eine Frau, dachte Hergarten und küßte Sybillas zuckenden Mund. Er küßte ihr die Tränen vom Gesicht, er preßte ihren Kopf an sich, als sie etwas sagen wollte, aber keinen Ton über die Lippen bekam.
»In vier Tagen ist alles vorbei«, sagte er leise.
In vier Tagen … das sind sechsundneunzig Stunden oder fünftausendsiebenhundertsechzig Minuten.
Fünftausendsiebenhundertsechzigmal Todesangst.
Wer kann das aushalten?
Auf dem Fußboden tanzte die Tasche, als sei sie ein Spielzeug mit einem Federwerk. Die Viper war toll geworden vor Wut.
Der I. Funker der ›Ozeanic‹ hatte endlich die langersehnte Antwort aus Paris aufgefangen und überbrachte sie Kapitän Selbach.
In der Kapitänskajüte des Schiffes hinter der Kommandobrücke saßen der I. Offizier, der I. Ingenieur, der Oberzahlmeister und Bord-Detektiv Harry Linder um die Back und spielten Halma. Kapitän Selbach studierte die Wetterkarte, die man nach Angaben der Meteorologen von Radio Norddeich und des Küstenfunks New Jersey täglich zeichnete.
Die bisherigen Funkmeldungen waren nicht gerade erfreulich gewesen. Die New Yorker Polizei ordnete an, den Leichnam Dubois' auf keinen Fall im Meer zu versenken, sondern an Bord zu lassen, bis die Mordkommission den Fall übernommen hatte. Aus Hamburg war ein Telegramm gekommen, das deutsche Experten ankündigte, die sofort auf dem Luftwege nach New York geschickt wurden. Zu allem Überfluß schaltete sich auch noch der Bundesnachrichtendienst in Pullach ein und befahl, den so rätselhaft ums Leben gekommenen französischen Philosophen und Schriftsteller wie einen Gegenstand aus Gold zu behandeln. Auch von Pullach waren zwei Beamte schon per Flugzeug unterwegs nach New York.
Kapitän Selbach hatte dieses letzte Telegramm mit größter Sorge gelesen. »Was hat der BND damit zu tun?« fragte er seine Offiziere und legte das Telegramm in eine rote Mappe, die sonst im Tresor unter Verschluß lag. »Warum machen die überhaupt eine solche Staatsaktion um einen Mord? Man sollte annehmen, daß ein solcher Skandal unter der Hand behandelt wird. Was ist denn auf meinem Schiff los?«
Die Antwort brachte das Funkgespräch aus Paris. Kapitän Selbach las laut vor, was der I. Funker in die Suite gebracht hatte.
»Polizeipräsidium Paris, Kommissar Lefèvre, Büro für Identifizierungen. Ein Dr. Jerome Dubois in Paris unbekannt. Es gibt in Paris viele Jerome Dubois, aber keiner ist Schriftsteller oder Privatgelehrter. Auch sind alle Jerome Dubois zur Zeit in Paris oder – zwei Ausnahmen – verreist mit Familie und erfreuen sich bester Gesundheit. Haben New Yorker Polizei um Amtshilfe gebeten und bitten um ein Funkbild des Toten. Die angegebene Paßnummer ist im Verzeichnis der Paßstelle Paris nicht registriert. Verdacht auf gefälschten Paß. Polizeipräsidium Paris bittet um nähere Angaben über den angeblichen Dubois.«
Kapitän Selbach warf das Funktelegramm auf den Tisch.
Dann nahm er seine Mütze vom Kopf und warf sie hinterher.
»Eine solche Schweinerei!« schrie er. »Verstehen Sie das, meine Herren? Ein gefälschter Paß, kein Philosoph, ein falscher Name, und jetzt liegt er erschossen im Hospital! Von Deutschland kommt der BND, von Washington der CIA … fahre ich denn auf einem Schiff voll hochexplosiver politischer Bomben über den Atlantik?«
Der I. Offizier wischte die
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