Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Püppchen des Halmaspieles vom Tisch. Sie kollerten wie Erbsen durch die Kajüte. »Diese Jungfernfahrt vergesse ich nie«, sagte er heiser. »Ich komme mir vor wie auf einem Pulverfaß. Himmel noch mal, wären wir doch erst in New York!«
»Und wir sitzen hier herum wie die arbeitslosen Weihnachtsmänner«, sagte der I. Ingenieur. »Wir müssen etwas tun!«
»Was denn?« Harry Linder studierte noch einmal das Funktelegramm aus Paris. »Wir haben über tausend Passagiere an Bord und vierhundert Besatzungsmitglieder. Jeder kann der Mörder sein.«
Kapitän Selbach lächelte schief. Er hatte in seinen dreißig Jahren Seefahrt schon vieles erlebt. Sturmfahrten um Kap Hoorn, Havarie vor Indien, Absaufen auf einem Korallenriff in der Südsee. Liebestragödien, Selbstmorde an Bord, Menschen über Bord, einen Fall von Wahnsinn, Hunderte Schicksale voller Rätsel … aber nie hatte er so hilflos dagestanden wie heute.
»Die gelähmte Frau Michaelsen kann man wohl ausnehmen«, sagte er. Es sollte Galgenhumor sein, aber Harry Linder hob abwehrend die Hand.
»Es gibt Gelähmte, die im Bedarfsfalle rennen können wie Sprinter. Rollstuhl und Pflegerin sind noch kein Beweis. Kapitän, es gibt da ganz andere Masken.«
»Es ist zum Verrücktwerden.« Selbach stülpte seine Mütze wieder auf. »Ich muß Dr. Dahl verständigen. Er muß sich etwas einfallen lassen, wo wir die Leiche vier Tage lang aufheben können …«
Ruhig, ein weißes Wunder an Luxus und Fröhlichkeit, zog die ›Ozeanic‹ durch den in der Sonne blaugolden schimmernden Atlantik. Auf dem Rivieradeck spielte die Bordkapelle zum Tanz, im Alster-Club war der Fünf-Uhr-Tee in vollem Gange, zärtliche Geigenmusik des Orchesters Juan Fernandez umschmeichelte die Gäste, im Bord-Kino lief der Film ›Blow up‹ – eine erregende Studie über einen ungeklärt bleibenden Mord –, in den beiden Schönheittssalons lagen die Damen auf den Spezialliegen und ließen sich Gesichtspackungen machen, die Fußnägel pediküren und die Haut mit Cremes einmassieren. Im Rauchsalon saßen Graf Sepkinow und Sir Surtess und tauschten Erfahrungen über Gewerkschaften aus. Lady Anne lag ebenfalls auf einer Liege im Schönheitssalon, was Sir Surtess zu der ungalanten Bemerkung hinriß: »Meine Liebe, du kannst von den Mädchen keine Zauberei verlangen!« In der Bibliothek saß der deutsche Architekt Heinz Niehoff und stöberte in einem Stapel Bücher über ›Völkerkunde Amerikas‹. Überhaupt war Niehoff der stillste der ganzen Exklusivrunde. Man hatte sich daran gewöhnt. Nicht jeder konnte so sein wie Sam Hopkins, dem nichts heilig war.
Überhaupt Hopkins! Er war in Fahrt. Er hatte eine Eroberung gemacht, die sich vorzustellen er nicht einmal im Traume gewagt hätte: Margret Goltz, dieses süße, langmähnige, blonde Mädchen aus Germany, dieses kleine, verführerische Aas mit den blauen Kulleraugen, hatte Ulrich Renner anscheinend stehengelassen und war zu ihm, ausgerechnet zu ihm gewechselt.
Der gute Sam verstand das nicht, aber er nahm es hin wie ein Naturereignis. Wer überlegt, wie so etwas möglich ist, wenn ein Blizzard übers Land heult und die Ernte vernichtet? Wer redet viel über einen Taifun, wenn er das Wasser kilometerweit ins Land treibt? Er ist eben da, und reden hält ihn nicht auf.
Genauso war Margret jetzt da, hing an Sams Arm und schleifte ihn zur Lido-Bar. Sie trug einen nervenaufreibend knappen Bikini, und Sams Gesicht glänzte, wie mit einer Speckschwarte eingerieben, als er Margret auf den Hocker hob und dabei ihre glatte, warme Haut berührte. Die neidvollen Blicke der jüngeren Müßiggänger um den Swimming-pool nahm er mit klopfendem Herzen hin. Oha, dachte er. Nicht nur die Jugend ist gefragt, auch die Erfahrung wird begehrt. Die grauen Schläfen, ihr jungen Schlipse, die machen's! Der väterliche Rat, die onkelhafte Güte und später die Routine …
Sam Hopkins hatte sich gut darauf vorbereitet. Während Margret nach einem Cocktail zunächst in den Pool sprang und wie ein Fisch im grünen Wasser planschte, drückte Sam dem Obersteward eine große Dollarnote in die Hand.
»Sekt auf Nr. 11«, sagte er und lächelte dabei Margret zu, die ihm zuwinkte und »Huhu!« schrie. »Gebäck, Obst … und Augen zu, mein Junge.«
»Wie Sie wünschen, Mr. Hopkins.« Der Obersteward steckte das Geld ein, ohne es anzusehen. Man hat es in den Fingerspitzen, wieviel es ist. »Ich werde die Kabinenbar auffüllen.« Er verbeugte sich knapp und ging. Wer zehn Jahre
Weitere Kostenlose Bücher