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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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zurzeit auch der kinderlose achtzigjährige Witwer Oskar Billek gehörte.
    Früher war er viel und weit gereist, seit einem Sturz lag er mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus. Sein Wissensdurst war ungeheuer; er hatte mehrere Tageszeitungen abonniert, las täglich ein paar Seiten in der Odyssee , um sein Griechisch nicht zu vergessen, und jedes Mal, wenn Rike kam, fragte er ihr Löcher in den Bauch. „Warum heißt Ihre älteste Tochter Fiona? Das ist doch ein irischer Vorname, nicht wahr?“
    „Mein Mann und ich lieben Irland“, hatte sie geantwortet und ihm von ihrer dreimonatigen Tramptour berichtet. Er hatte sich mit der Schilderung einer Alaska-Reise revanchiert, und heute hatte er sie mit einer schier unglaublichen Geschichte überrascht – doch nicht allein diese war es, die sie jetzt so schnell wie noch nie aus dem Krankenhaus und zu ihrem Auto trieb. Es lag an dem Namen Weymoden und daran, dass ihre beste und älteste Freundin, Lieselotte Velthaus, vor ihrer Heirat so geheißen hatte.
    Rike fädelte sich auf der Prag, dem berüchtigten Stuttgarter Nadelöhr, in den Verkehr ein und parkte zehn Minuten später im Bohnenviertel.
    Das war heute Teil der Innenstadt, doch früher hatten dort Gärtner und Weinbauern Bohnen und anderes Gemüse in ihren Gärtchen gezogen. Später kam das Viertel in Verruf, weil leichte Mädchen und „Schlamper“ auf dem Katzenkopfpflaster hin- und herspazierten und auf Kundschaft warteten. Die Gässchen waren eng, die Häuser klein und schmalbrüstig, aber das Beste war, dass man sich kannte und meist auch einen kleinen Schwatz hielt, wenn man sich über den Weg lief.
    Daran hatte sich bis heute nicht viel geändert, auch wenn das Viertel längst von Künstlern erobert worden war und als charmante In-Adresse galt. Es beherbergte Antiquitätenläden, Galerien, schicke Läden, Bistros – und Lottes Weinhandlung, das Vinum.
    Links davon machte eine Trattoria mit Kübelpalmen, rosa und weißem Oleander und einem römischen Senator in arroganter Pose neben der Tür auf sich aufmerksam. Die schwäbische Wirtschaft auf der anderen Seite hielt nichts von Lean Cuisine oder gar Crossover-Gerichten; trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war sie wegen ihrer bodenständigen Küche weit über die Grenzen des Bohnenviertels hinaus bekannt: Maultaschen, geschmälzt oder in der Brühe, Fleischküchle und Zwiebelrostbraten, der je nach Hunger mit Spätzle, Brot oder gerösteten Kartoffeln aufgerüstet werden konnte. Lotte liebte die schwäbische Küche und aß oft dort; vor allem der Nachtisch, Ofenschlupfer oder Apfelküchle mit Vanillesauce, hatte es ihr angetan; den Köstlichkeiten verdankte sie einige überflüssige Pfunde.
    Das Äußere des Vinum hatte sie bewusst bescheiden gehalten; nur eine sonnengelbe Markise über dem Eingang lenkte die Blicke auf sich. Das war ganz im Sinne ihrer Stammkunden. „No nix Narrets“, sagten die und saßen auch heute, wie immer an warmen Tagen, an den Tischchen vor dem Haus. Die älteren Männer hielten das Gesicht in die Sonne, tranken mit bedächtigen Schlucken ihren Trollinger und kommentierten mit sparsamen Worten die Kunden, die bei Lotte ein- und ausgingen. Sie nickten Rike zu, die es heute ungewöhnlich eilig hatte.
    „Brennt’s?“, fragte einer.
    „Vielleicht“, entgegnete Rike und riss temperamentvoll die Tür auf. „Lotte – was für ein Glück, dass du gerade ohne Kundschaft bist!“
    „Ist was passiert?“
    „Nein.“
    „Gott sei Dank! Alles andere ist nebensächlich.“
    „Vielleicht nicht; ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Ein Patient hat mir eine Geschichte erzählt, die für dich alles andere als nebensächlich sein könnte.“
    „Mach keine Witze! Ist’s ein alter Bekannter von mir? Ein vielversprechender Neuer?“
    „Dazu ist er zu betagt.“
    „Dann interessiert er mich nicht.“ Lotte nahm zwei Gläser aus dem Regal, öffnete eine Flasche und schnupperte am Kork. „Hier, versuch mal den Wein und sag mir, was du davon hältst. Es ist ein eleganter deutscher Riesling mit angenehmer Säure und duftiger, blumiger Nase.“
    Rike verdrehte die Augen, während Lotte einschenkte.
    „Mensch, Lotte, es gibt interessante Männer, die du noch nicht in deinem Bett hattest.“
    „Leider. Was für ein Jammer. Na, wie ist der Wein?“
    „Süffig“, antwortete Rike anerkennend. „Gib mir mehr davon. Was ich sagen wollte …“
    Ein Kunde trat ein und verlangte sechs Flaschen „klassischen“ Barolo. Bei dem Wort

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