Schwarzer Regen
hatte. Die
Niederlage wurde nachmittags um fünf über den Rundfunk bestätigt. (Ein
gedrucktes Exemplar der Kaiserlichen Botschaft, das ich später sah, lautete:
„Die Kriegslage hat sich nicht unbedingt zu
Japans Vorteil entwickelt, während die allgemeinen Strömungen der Welt sich
gegen seine Interessen gerichtet haben. Überdies hat der Feind begonnen, eine
neue und überaus grausame Bombe zu verwenden, um unschuldige Opfer zu töten und
zu verstümmeln und unermeßlichen Schaden zu verursachen. Würden wir
weiterkämpfen, so würde dies nicht nur zum schließlichen Zusammenbruch und zur
Austilgung unserer Nation sondern auch zur Vernichtung der menschlichen
Zivilisation führen...“)
Ich holte die Papiere aus dem Büro in die
Kantine und ließ sie vom Geschäftsführer mit dem Siegel versehen. Jetzt, da der
Krieg verloren war, hatte eine Firma, die Bekleidung für die Armee herstellte,
im Grunde genommen keine Existenzberechtigung mehr. Und es war auch ziemlich
sinnlos, daß ich damit zum Bahnhof ging.
„Wo soll ich die Papiere aufbewahren?“ fragte
ich den Geschäftsführer. „Ich nehme sie an mich und werde sie in den
Panzerschrank legen“, sagte er. „Denken Sie daran, daß ich sie jetzt habe.“ Er
nahm mir die Papiere ab und verließ den Tisch.
Auch ich verließ die Kantine, ging durch den
Notausgang auf den Hof, um noch einmal einen Blick auf die jungen Aale auf
ihrem Weg stromaufwärts zu werfen. Diesmal näherte ich mich dem Graben
besonders vorsichtig und trat ganz sacht auf, um kein Geräusch zu verursachen.
Aber nicht ein einziger junger Aal war zu sehen, das Wasser des Baches floß
klar und leer.
Die Übertragung des „Tagebuchs von der Bombe“
war abgeschlossen. Man mußte es nur noch einmal durchlesen und mit einem festen
Umschlag versehen.
Am folgenden Nachmittag inspizierte Shigematsu
die Aufzuchtteiche. Der Aoko machte sich gut, und in einer flachen Ecke des
größeren Teiches wuchsen Wasserpflanzen. Shokichi hatte sie vermutlich dort
angepflanzt; er mußte sie aus dem Benten-Teich bei Shiroyama geholt haben. Die ovalen
glänzend grünen Blätter lagen verstreut auf dem Wasser, und aus ihrer Mitte
ragte ein schlanker Stengel empor mit einer kleinen dunklen purpurroten Blüte.
Shigematsu blickte nach oben. „Wenn jetzt ein
Regenbogen über den Bergen drüben auftaucht, geschieht ein Wunder“, redete er
sich ein. „Laß doch einen Regenbogen erscheinen — keinen bleichen, einen in
vielen Farben — , und Yasuko wird gesund werden.“
So sprach er zu sich selbst, den Blick auf die
nahen Berge geheftet, dabei wußte er nur zu genau, daß der Wunsch nicht in
Erfüllung gehen konnte.
Nachwort
»Schwarzer Regen« ist der große japanische
Atombombenroman. Für die im Oktober 1966 publizierte Buchausgabe erhielt der
Autor, der damals 68 jährige Masuji Ibuse, den Noma-Literaturpreis. Im November
desselben Jahres wurde ihm die kaiserliche Kulturmedaille, die höchste
Auszeichnung für Kunst und Wissenschaft, verliehen.
Das Buch, das seither auf der Liste der
empfohlenen Schullektüre steht, blieb ein Longseller bis heute.
Was man japanisch als »Genbaku-bungaku«, als
»Atombomben-Literatur«, bezeichnet, gibt es seit den Tagen, an denen, am 6. und
9. August 1945, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.
Für die Erzähler und Lyriker, die die durch
einen enormen Fortschrittssprung der Physik ermöglichte, von Politikern und
Militärs in strategischer und Schockabsicht ausgelöste Hölle in den beiden
Städten miterlebten, war es selbstverständlich, alles am eigenen Leib
Erfahrene, alles Gesehene und Gehörte literarisch zu überliefern. Sie empfanden
das so sehr als ihre Pflicht, daß sich ihnen die Frage, ob überhaupt und in
welcher Form beziehungsweise mit welchen Mitteln das jede Vorstellung
übersteigende Entsetzen Gegenstand von Literatur sein könne und dürfe, gar
nicht stellte.
Da angesichts der ungeheuerlichen Realität
Fiktives kaum erfindbar war, entwickelte sich die frühe, die sozusagen
originäre Atombomben-Literatur als eine Berichtsliteratur — mit der doppelten
Schwierigkeit, als diese betroffenen Autoren von dem Geschehen nur als von einem
Nichtfaßbaren berichten konnten und daß sie deshalb und der Totalität der
Zerstörung wegen dem außenstehenden Leser so gut wie keine Vergleichsmaßstäbe
für das Verständnis zu bieten vermochten.
Bei Masuji Ibuse war das anders. Nachdem er
wenige Wochen zuvor von Tokyo her
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