Schwarzer Regen
an die Berge.
Nicht zu begreifen auch die pilzförmige
Wolke. Sie wuchs und wuchs, bis auf eine Höhe von tausend und mehr Metern
zuletzt, um sich dann in nordwestwärts treibende Regenschwaden aufzulösen. Die
Tropfen, die da fielen, waren groß und von einem öligen Schwarz; sie ließen
sich nur schwer oder gar nicht abwaschen.
Was für eine Waffe konnte das gewesen
sein?
Am Abend des 6. August sprach der
japanische Rundfunk noch von einem »Brandbombenangriff auf Hiroshima«.
Während tags darauf die Welt aus einer
Erklärung Präsident Trumans zum erstenmal von der Atombombe hörte: daß den USA
hier »in Ausnutzung der Grundkraft des Universums« eine »revolutionierende
Steigerung an Zerstörung« gelungen sei, hieß es aus dem Kaiserlichen
Hauptquartier, der Gegner habe eine »Bombe neuen Typs« eingesetzt.
Am 10. August (inzwischen hatte am 9.
die Stadt Nagasaki das gleiche Schicksal wie Hiroshima ereilt) erfuhren es die
Militärs intern, und am 14. August wurde es den Japanern offiziell bekannt
gemacht: »Es war eine Atombombe .«
Diese Feststellung stammte von Yoshio
Nishina, Physiker und einst Niels-Bohr-Schüler in Kopenhagen, der selbst seit
1941 in militärischem Auftrag an der Kernspaltung gearbeitet hatte.
Die Hoffnung der Alliierten erfüllte
sich: Am 15. August streckte Japan die Waffen. Am z. September wurde an Bord
des Schlachtschiffs »Missouri« die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet.
Drei Tage später brachte der Londoner
»Daily Express« als Aufmacher auf Seite eins einen Beitrag seines
Korrespondenten Peter Burchett, der sich als erster ausländischer Journalist —
übrigens unerlaubterweise — nach Hiroshima durchgeschlagen hatte. Sein Bericht
begann mit dem Satz: »In Hiroshima, dreißig Tage, nachdem die erste Atombombe
die Stadt zerstörte und die Welt erschütterte, sterben noch immer Menschen —
Menschen, die in der Katastrophe unverletzt geblieben — auf geheimnisvolle und
schreckliche Weise an einem unbekannten Etwas, das ich nur als die atomare Pest
beschreiben kann.«
Die Gesamtzahl der Toten mochte
inzwischen bei 110 000 liegen, und sie stieg weiter Tag um Tag. Die zunächst rätselhaften, nun als Folgen hochdosierter radioaktiver
Bestrahlung erklärbaren Erkrankungen wie Zahnfleischfäule, Haarausfall,
Darmbluten, Purpurea-Fleckung der Haut, hohes Fieber und Versagen des
Blutbildungsprozesses, die bislang nur bei sichtbar Verletzten aufgetreten
waren, zeigten sich jetzt auch bei scheinbar gesunden Überlebenden sowie bei
Mitgliedern der unmittelbar nach dem 6. August in die strahlungsverseuchte
Stadt eingerückten Hilfskolonnen.
In diesen Wochen begannen die
japanischen Ärzte und Wissenschaftler — viele von ihnen selbst Überlebende von
Hiroshima oder Nagasaki — die Vorgänge, Beobachtungen, Erfahrungen zu
dokumentieren; man bildete Untersuchungskommissionen, beauftragte Kamerateams
mit Filmaufnahmen. Am 8. September traf eine Spezialistengruppe der US-Armee in
Hiroshima ein, die, wie zuvor in Europa, die »Bombardierungserfolge«
recherchieren sollte.
Die ersten Daten bereits müssen schockierend
gewesen sein: Mit dem am 19. September von der Besatzungsmacht erlassenen
»Press code« wurden zugleich alle Berichte über die Atombombenfolgen einer
strengen Zensur unterworfen; die wissenschaftlichen Aufzeichnungen, später auch
die Filmrollen, wurden beschlagnahmt. Der Zustand des Nichtwissens sollte
künstlich erhalten werden, sollte in einer sich wiederherstellenden
»Normalität« aufgehen.
Diese Politik traf in gleichem Maße die
Atombomben-Literatur. Zwar kamen seit 1946 einige wenige Gedichte in Umlauf, in
stark zensierten oder unerlaubt hergestellten, oft nur hektographierten
Privatausgaben, zwar wagte eine kleine Gruppenzeitschrift im Juni 1947 den
Abdruck der Hiroshima-Erzählung »Sommerblumen« von Tamiki Hara, und im November
1948 erschien, erheblich gekürzt, doch nun immerhin in einem großen Tokyoer
Verlag, der Roman »Stadt der Leichen« von Yoko Ota. Da jedoch eine öffentliche
Diskussion über das hierin geschilderte Nichtfaßbare, und das heißt: über den
qualitativen, die Folgen perpetuierenden Unterschied der Atombombe gegenüber
herkömmlichen Waffen, nicht stattfand, blieb diese Literatur in ihrer Wirkung
beträchtlich beschränkt.
Da erklärte im September 1949 die
Sowjetunion, sie sei nun ebenfalls im Besitz der Atombombe. Im März 1950
verfaßten internationale Atombombengegner den »Stockholmer Appell«.
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