Schwarzer Regen
zornig...
ich möchte nicht..." Die Stimme versagte ihr. „O Gott...“
Bei alledem weinte sie nicht. Auch meine Tränen
waren versiegt. Um die Wahrheit zu sagen, ich vermute, die Tränen, die hier
vergossen wurden, galten nicht jenem Augenblick — jenem Augenblick, kurz nach
Mittag an einem bestimmten Tag eines bestimmten Monats sondern sie hatten einen
ganz anderen Grund. Sie erinnerten mich an die Zeit, als ich noch sehr klein
war und allein hinausging, um draußen an unserem Haus zu spielen. Damals wurde
ich oft von einem Dorflümmel gequält, einem, der nicht ganz normal war, er hieß
Yoichi, aber ich ließ es nie dazu kommen, daß ich vor seinen Augen weinte. Nein
— statt dessen rannte ich ins Haus und plagte meine
Mutter so lange, bis sie mich an ihre Brust ließ. Und erst dann, beim Anblick
des trauten Hafens, brach ich schließlich in Tränen aus. Noch heute kann ich
mich an den salzigen Geschmack ihrer Milch erinnern. Die Tränen, die ich
vergoß, waren immer Tränen der Erleichterung, und ich glaube, die Tränen an
diesem Tag waren von der gleichen Art.
In der Kantine saßen mit dem Geschäftsführer und
den Angestellten etwa zwanzig Leute am Tisch. Sie waren alle nicht mehr jung,
und sie saßen still und stumm da wie Buddhas aus Stein. Eine junge Küchenhilfe
stand mit dem Tuch in der Hand unter dem kurzen Vorhang, der über dem Eingang
zur Küche hing, und blickte drein, als hätte man sie gerade gescholten.
„Herr Fujita — ich bin endlich mit den
Unterlagen fertig“, sagte ich und setzte mich ihm gegenüber hin. „Das sieht
nach Kapitulation aus, wie?“
„Ja, es sieht so aus“, erwiderte er mit
unerwarteter Schärfe. „Der Kaiser hat gerade eine Botschaft über den Rundfunk
verlesen. Das Radio funktioniert allerdings nicht richtig. Ein Arbeiter
versuchte es in Ordnung zu bringen, aber je mehr er dran herumfummelte, desto
schlimmer wurde es, und wir konnten nicht gut verstehen. Aber jedenfalls sieht
es nach Kapitulation aus, ja.“
Die Schüsseln mit Gerstenbrei und Schrot waren
oben ganz betrocknet, und Fliegen sammelten sich darauf. Es gab noch Muscheln
in Sojasoße gedünstet, und auch dort tummelten sich die Fliegen. Niemand rührte
sich, sie zu verscheuchen.
„Also dann“, sagte der Geschäftsführer mit
gekünstelter Forschheit, „darin wollen wir mal nicht Trübsal blasen, sondern
essen. He, Fräulein, bringen Sie uns bitte eingelegte Pflaumen! Aber zählen Sie
sie vorher, damit es auch reicht und jeder drei Stück bekommt. Morgen schon
können die feindlichen Streitkräfte diesen Betrieb übernehmen, und dann habe
ich hier nichts mehr zu melden.“
Niemand sagte etwas, aber der Geschäftsführer
nahm seine Eßstäbchen, und wir folgten seinem Beispiel. Jeder von uns bekam
drei eingelegte Pflaumen. Ich machte es wie der Geschäftsführer, legte meine
Pflaumen auf den Gerstenbrei, goß Tee über das Ganze und rührte mit den
Stäbchen gut um, ehe ich zu essen anfing. Nach der Hälfte, als ich noch mehr
Tee darübergoß, sah ich, daß auf dem Grund der Schüssel nur eine Pflaume lag.
Die beiden anderen waren verschwunden. Ich konnte mich nicht erinnern, daß ich
die Steine ausgespuckt hätte, und wiederum konnte ich sie nicht gegessen haben,
ohne auch nur das Geringste zu merken. Kurzum, ich mußte sie zusammen mit der
Gerste ganz hinuntergeschluckt haben. Ich strich mir mit der Hand über die
Kehle, aber da steckte nichts. Dabei waren es recht große Pflaumen...
Nach dem Essen behauptete plötzlich ein Arbeiter
namens Yoda, die Rundfunkbotschaft des Kaisers sei ein Appell an die Nation
gewesen, noch härter zu kämpfen. Alle saßen eine Weile reglos, und weder der
Geschäftsführer noch die anderen Angestellten machten Anstalten, den Tisch zu
verlassen. Dann rief jemand abrupt: „Verantwortungslose Gerüchtemacherei!“
Dadurch ermutigt, erklärte ein leitender Angestellter aus der Herstellung
namens Nakanishi, er habe Seine Majestät ganz deutlich sagen hören, „würden wir
weiterkämpfen, so würde dies nicht nur zum schließlichen Zusammenbruch...“
„Das habe ich auch gehört“, sagte der
Geschäftsführer. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich muß sagen, ich habe
es auch so verstanden.“
Zwei oder drei andere bestätigten, daß Seine
Majestät das gesagt habe. Wenn sie recht hatten, konnte man auch mit der
größten Phantasie keinen Appell, noch entschlossener zu kämpfen, daraus machen.
Schließlich waren sich alle einig, daß Japan wirklich verloren
Weitere Kostenlose Bücher