Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
Vom Netzwerk:
in sein Heimatdorf Kamo, rund hundert
Bahnkilometer östlich von Hiroshima, evakuiert worden war, hatte er dort den 6.
August erlebt, ahnungslos zwar diesen ganzen Tag über (»Wären im Westen die
Berge nicht gewesen, hätten wir die sogenannte Atomwolke vielleicht gesehen«),
doch bald darauf schon Zeuge dafür, wie das Nichtfaßbare bis heraus in die
entlegene Provinz spürbar wurde: mit allen Folgen, die sich aus der Kollision
mit der »Normalität« ergaben.
    In einem 1951 veröffentlichten Text »Kakitsubata«
(»Schwertlilien«) schreibt er: »Daß ich von dem Luftangriff auf Hirsohima
erfuhr, war dreißig, vierzig Stunden nach dem Ereignis. Da war zuerst ins
Nachbardorf ein Verletzter heimgeflüchtet, der die Atombombe abbekommen hatte
und berichtete, die Stadt Hiroshima sei von einer sonderbaren Bombe in einem
einzigen Augenblick
vernichtet worden.« Später heißt es von jungen Leuten, die aus demselben Dorf
in einer »Freiwilligenbrigade« zu Luftschutzarbeiten nach Hiroshima gegangen
waren, daß unter den wenigen, die lebend zurückkehrten, nicht nur die
Verletzten, »sondern auch die Nichtverletzten über nicht zu beschreibende
heftige Schmerzen klagten.« Der Landarzt habe sich völlig überfordert gesehen.
Um der unbekannten Krankheit einen vorläufigen Namen zu geben, »sprach er von
der >Freiwilligen-Krankheit< oder von der >Krankheit, die rätselhafte
Schmerzen verursacht< oder von der >unheilbaren Krankheit< .« Denn auch diese Jungen starben ihm unter den Händen, und
im Dorf verbreitete sich die Furcht, »die Krankheit könne ansteckend sein .«
    Wir Heutigen, die wir glauben, wir
kennten die Auswirkungen der Atombomben (auch bei einem etwaigen künftigen
»Atomschlag«), machen uns keine rechte Vorstellung vom damaligen Zustand des
Nichtwissens.
     
    Schon von den zwölf Männern an Bord der
»Enola Gay«, der amerikanischen B29, die am Morgen des 6. August zusammen mit
zwei Begleitflugzeugen Hiroshima anflog, wußten die meisten nicht, worum es
sich bei ihrer »Special Bombing Mission« handelte. Erst kurz vor dem Ziel
erklärte ihnen der Commander, daß sie eine Atombombe abwerfen würden. Nur, was
verstand man darunter?
    Als sie das vier Tonnen schwere »Ding«,
auch »Little Boy« benannt, um acht Uhr fünfzehn Minuten und siebzehn Sekunden
Ortszeit in 9600 Metern Höhe ausgeklinkt hatten und dreiundvierzig Sekunden
später 580 Meter über der Stadt mit einem grellen Blitz die Explosion erfolgte:
Was ereignete sich da?
    Sie sahen nichts als den brodelnd
aufsteigenden, riesigen Wolkenpilz. »It’s pretty terrific .«
    Drunten in der Stadt die Ahnungslosigkeit,
in die das Ungeheuerliche einschlug im Bruchteil eines Augenblicks.
     
    Schätzungsweise 350 000 Menschen
befanden sich am 6. August in Hiroshima: noch nicht evakuierte
Einwohner, Pendler von auswärts, koreanische Zwangsarbeiter in den
Rüstungsbetrieben, Soldaten vom Hauptquartier der Zweiten Armee.
    Gewiß, nach den vernichtenden Angriffen
auf fast sämtliche Großstädte des Landes rechnete man bei jedem Alarm damit,
daß nun diese Stadt im siebenarmigen Delta an der Reihe sei; doch auch in der
vergangenen Nacht war sie verschont geblieben, und der einzelne Aufklärer am
strahlend blauen Himmel, der kurz nach sieben Uhr noch einmal Luftwarnung
auslöste, drehte wenig später wie er ab. Dabei hatte seine Wettermeldung die
Operation endgültig in Gang gesetzt.
    Um acht Uhr zwölf berichtete ein
Beobachter östlich von Hiroshima dem Hauptquartier, er habe drei einfliegende B
29 gesichtet. Zum Alarm kam es nicht mehr. Drei Minuten später hatte die »Enola
Gay« ihre furchtbare Last bereits abgeladen.
     
    An diesem ersten Tag starben 85 000.
Viele von ihnen in den Sekunden des »Pikadon« (»Blitz und Schlag«):
unauffindbar ausgelöscht, nur noch ein Schatten auf einer Mauer, einer Treppe,
einer Brücke, zu Kohleklumpen eingeschrumpft. Die meisten nach Stunden
unbeschreiblichen Leidens: von der Glut des Blitzes versengt, die Lungen von
der Druckwelle zerrissen, mit blutenden Einge-weiden, unter Trümmern begraben,
eingeschlossen von dem erst allmählich aus dem Glimmen und Schwelen
ausbrechenden Eeuersturm oder flüchtend von ihm eingeholt, in den Llüssen
ertrinkend.
    Nichts an dieser Hölle war begreifbar.
    Zunächst hatte jeder an einen
Volltreffer in unmittelbarer Nähe geglaubt, hatte auf weitere Einschläge
gewartet. Aber der Anfang des Angriffs war zugleich sein Ende. Und die
brennende Stadt lag plattgewalzt bis zum Meer und

Weitere Kostenlose Bücher