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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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als triebe er in einem umgedrehten schwarzen Teich. Sein nächtliches Weiß überflutete den Kessel und ließ jedes Detail der Fels- und Eismassen plastisch hervortreten. Servaz hob die Augen. Die Silhouette war gerade im Schatten der Felswand verschwunden; im Mondschein tauchte sie auf der anderen Seite wieder auf. Er beugte sich vor und hielt sich fest, so gut es ging, während ihre superstarke Maschine mühelos den Hang erklomm.
    Sobald sie die Spalte überwunden hatten, waren sie wieder von Tannen umgeben. Lombard war verschwunden. Die Piste stieg weiter an, im Zickzack ging es durch den Wald; der Wind blies in jähen Böen, ein weißgrauer Schleier raubte ihnen die Sicht und reflektierte das Scheinwerferlicht. Servaz kam es vor, als würde ihnen ein vor Wut tobender Gott seinen eisigen Atem ins Gesicht blasen. Er bibberte vor Kälte in seinem Anzug, aber er spürte auch, dass ihm ein schmales Rinnsal Schweiß den Rücken hinunterlief.
    »Wo ist er?«, brüllte Ziegler vor ihm. »Verdammt! Wo steckt er nur?«
    Er spürte die Spannung in ihr, all ihre Muskeln waren gestrafft, um die Maschine unter Kontrolle zu halten. Und wütend war sie. Fast hätte Lombard sie an seiner Stelle ins Gefängnis geschickt. Lombard hatte sie benutzt. Einen flüchtigen Moment lang fragte sich Servaz, ob Irène noch bei klarem Verstand war oder ob sie sie nicht beide in eine tödliche Falle hineinritt.
    Dann öffnete sich der Wald ein wenig. Sie überquerten einen kleinen Pass und fuhren den Hang auf der anderen Seite hinunter. Der Sturm flaute unvermittelt ab, und ringsum standen plötzlich die Berge wie ein Heer von Riesen, die ein nächtliches Duell erleben wollen. Und plötzlich sahen sie ihn. Etwa hundert Meter weiter unten. Er hatte die Piste verlassen und seine Maschine im Schnee abgestellt. Er bückte sich und streckte die Hände nach unten.
    »Er hat ein Snowboard!«, schrie Ziegler. »Der Mistkerl! Damit geht er uns durch die Lappen!«
    Servaz sah, dass Lombard am Gipfel eines sehr steilen Hangs stand, der von mächtigen Felsbrocken übersät war. Er erinnerte sich an die Artikel, die Lombards hervorragende sportliche Leistungen rühmten. Er fragte sich, ob das Schneemobil ihm dorthin folgen konnte, aber dann war ihm schon klar, dass Lombard seines dann sicher nicht hätte stehenlassen. In halsbrecherischem Tempo jagte Ziegler jetzt die Piste hinunter. Sie wechselte auf die Spur, die Lombards Maschine im Schnee zurückgelassen hatte, und einen Augenblick lang befürchtete Servaz, sie könnten von der Fahrbahn abkommen. Er sah, wie Lombard unvermittelt den Kopf zu ihnen umdrehte und einen Arm in ihre Richtung hob.
    »Vorsicht! Er hat eine Waffe!«
    Er wusste nicht genau, was Ziegler getan hatte, aber ihre Maschine stellte sich jäh quer, und Servaz stürzte kopfüber in den Schnee. Vor ihnen blitzte etwas, dann knallte es. Der Knall hallte, vielfach verstärkt, vom Berg wider. Gefolgt von einem zweiten. Dann ein dritter … Die Schüsse und ihr Widerhall erzeugten ohrenbetäubendes Donnern. Dann hörten die Schüsse auf. Servaz wartete mit klopfendem Herzen, halb im Pulverschnee begraben. Ziegler lag neben ihm, sie hatte ihre Waffe gezogen, aber aus einem rätselhaften Grund hatte sie beschlossen, sie nicht zu benutzen. Das letzte Echo hallte noch in der Luft, als ein zweites Geräusch aus dem ersten hervorzugehen schien, ein gewaltiges Krachen …
    Ein unbekanntes Geräusch … Servaz konnte nicht sagen, was es war …
    Noch immer im Schnee liegend, spürte er, wie unter seinem Bauch der Boden bebte. Kurz glaubte er, ohnmächtig zu werden. So etwas hatte er noch nie gehört oder gespürt.
    Auf das Krachen folgte ein rauheres, tieferes, dumpf dröhnendes Geräusch. Das er genauso wenig einordnen konnte.
    Das gedämpfte, tiefe Grollen schwoll an – als läge er auf Gleisen und ein Zug näherte sich … nein, nicht einer: mehrere Züge auf einmal.
    Er richtete sich auf und sah, wie Lombard zum Berg aufblickte – reglos, wie gelähmt.
    Und plötzlich begriff er.
    Er folgte Irène Zieglers entsetztem Blick zum Gipfel des Hangs zu ihrer Rechten. Sie packte ihn am Arm, um ihm aufzuhelfen.
    »Schnell! Wir müssen laufen! Schnell!«
    Sie zog ihn mit sich zur Piste, bis zu den Knien sank sie im Schnee ein. Er folgte ihr, schwerfällig und linkisch in seinem Anzug und den Stiefeln. Er blieb einen Moment lang stehen, um einen Blick auf Lombard zu werfen. Der hatte aufgehört zu schießen und mühte sich mit den Bindungen seines

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