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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Snowboards ab. Servaz sah, wie er einen besorgten Blick zur Spitze des Hanges warf. Als er selbst hinaufsah, war es, als würde ihn ein Faustschlag in die Magengrube treffen. Da oben im Mondschein bewegte sich ein riesiges Stück des Gletschers wie ein schlafender Riese, der erwachte. Die Angst in den Knochen, hüpfte Servaz eilig vorwärts und ruderte mit den Armen durch die Luft, um schneller voranzukommen, ohne den Gletscher aus den Augen zu lassen.
    Eine riesige Wolke stieg auf und begann, zwischen den Tannen den Berg hinabzustürzen.
Es ist vorbei!,
dachte er.
Es ist vorbei!
Er wollte schneller laufen. Ohne weiter darauf zu achten, was über ihm geschah. Die riesige Welle traf sie einige Sekunden später. Er wurde vom Boden hochgehoben und durch die Luft gewirbelt wie ein Strohhalm, seinen leisen Schrei erstickte sogleich der Schnee. Dies hier war die Trommel einer Waschmaschine. Er öffnete den Mund, hustete wegen des Schnees, schluchzte, schlug mit Armen und Beinen. Er bekam keine Luft mehr. Er ertrank. Er begegnete dem Blick von Irène, die etwas weiter vorn kopfüber im Schnee steckte und ihn mit einem Ausdruck totalen Entsetzens anstarrte. Dann verschwand sie aus seinem Gesichtsfeld. Er wurde durchgerüttelt und überschlug sich.
     
    Er hörte nichts mehr …
    Seine Ohren pfiffen …
    Er bekam keine Luft mehr …
    Er würde ersticken … verschüttet …
    ES IST VORBEI
! …
     
    Diane sah die riesige Wolke, die den Berg hinunterraste, zuerst.
    »Achtung!«, schrie sie, ebenso sehr, um ihm Angst einzujagen wie um ihn zu warnen.
    Hirtmann warf einen erstaunten Blick nach ihrer Seite, und Diane sah, wie er vor Bestürzung die Augen weit aufriss. Gerade als die Mure aus Schnee, Felsbrocken und Steinen die Straße erreichte und sie in der nächsten Sekunde unter sich begraben würde, riss er das Lenkrad herum, so dass er die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Dianes Kopf stieß gegen die Kabine, sie spürte, wie das Heck seitlich ausriss. Im selben Augenblick traf sie die Lawine mit voller Wucht.
    Himmel und Erde kehrten sich um. Diane sah, wie sich die Straße drehte wie ein Karussell. Ihr Körper wurde hin und her geschleudert, und ihr Kopf stieß gegen die Scheibe und den Metallrahmen der Tür. Mit einem entsetzlichen dumpfen Donnern hüllte sie ein weißer Nebel ein. Mehrmals überschlug sich der Wagen auf der Böschung unterhalb der Fahrbahn, kaum gebremst von den Büschen. Diane verlor zwei- oder dreimal kurz das Bewusstsein, so dass ihr alles vorkam wie eine Folge unwirklicher Flashs und kleiner schwarzer Löcher. Als der Wagen endlich düster quietschend zum Stillstand kam, war sie benommen, aber bei Bewusstsein. Die Windschutzscheibe vor ihr war zersplittert; die Motorhaube war von einem dicken Schneebrett bedeckt; schmale Rinnsale von Schnee und Steinchen rieselten über das Armaturenbrett auf ihre Beine. Sie betrachtete Hirtmann. Er war nicht angeschnallt und hatte unter der Wucht des Aufpralls das Bewusstsein verloren. Sein Gesicht war blutüberströmt.
Die Waffe
 … Diane versuchte verzweifelt, ihren Gurt zu lösen – es gelang ihr nur mit Mühe. Dann beugte sie sich vor und sah sich nach der Waffe um. Endlich entdeckte sie sie zwischen den Füßen des Mörders, beinahe eingeklemmt unter den Pedalen. Sie musste sich noch tiefer bücken, und mit einem eisigen Schauer schob sie einen Arm zwischen den Beinen des Schweizers hindurch, um sie an sich zu nehmen. Sie sah sie lange an und fragte sich, ob die Waffe entsichert war.
Es war ganz einfach herauszufinden …
Sie richtete die Waffe auf Hirtmann, den Finger am Abzug. Ihr war auf der Stelle klar, dass sie keine Mörderin war. Was immer dieses Ungeheuer getan hatte, sie konnte nicht auf den Abzug drücken. Sie senkte den Lauf der Pistole.
    Erst jetzt fiel ihr etwas auf: die Stille.
    Abgesehen vom Wind in den entblätterten Ästen der Bäume rührte sich nichts mehr.
    Gespannt wartete sie auf eine Reaktion auf Hirtmanns Gesicht, ein Anzeichen, dass er wieder zu sich kam, aber er blieb völlig reglos.
Vielleicht war er tot …
Sie wollte ihn nicht berühren. Die Angst war noch immer da – und sie würde so lange bleiben, wie sie mit ihm in diesem Metallgehäuse eingeschlossen war. Sie durchsuchte ihre Taschen nach dem Handy und stellte fest, dass sie es nicht mehr hatte. Vielleicht hatte es Hirtmann, aber sie besaß nicht die Kraft, seine Taschen zu durchwühlen.
    Die Waffe in der Hand, begann sie über das Armaturenbrett nach draußen

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