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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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umbringen werde. Und Sie suchen verzweifelt nach einem Ausweg. Sie lauern auf den Moment, in dem ich einen Fehler mache. Ich muss Ihnen leider sagen, dass es dazu nicht kommen wird. Und daher werden Sie in dieser Nacht tatsächlich sterben.«
    Sie spürte, wie sich eisige Kälte vom Kopf über den Magen bis in ihre Beine ausbreitete. Einen Moment lang glaubte sie, ohnmächtig zu werden. Sie schluckte, aber ein schmerzhafter Kloß saß ihr im Hals.
    »Oder vielleicht auch nicht … Vielleicht lasse ich Sie doch am Leben. Ich mag es nicht, wenn man mich manipuliert. Elisabeth Ferney könnte es durchaus noch bereuen, dass sie mich benutzt hat. Sie hat ja immer gern das letzte Wort, aber diesmal könnte sie eine schmerzliche Enttäuschung erleben. Ihr Tod würde mich um diesen kleinen Sieg bringen:
Und das ist vielleicht Ihre Chance, Diane.
Ehrlich gesagt habe ich mich noch nicht entschieden.«
    Er log …
Er war längst entschieden. Das sagte ihr ihre Erfahrung als Psychologin. Dies hier war nur eines dieser abartigen Spiele, einer dieser Tricks: seinem Opfer einen Funken Hoffnung lassen, um sie ihm anschließend umso genüsslicher zu rauben. Zunichtezumachen. Genau das war es: wieder so eine perverse Freude. Der Schrecken, die absurde Hoffnung – und dann, im letzten Moment, die Enttäuschung und die schwärzeste Verzweiflung.
    Plötzlich verstummte er und lauschte auf die Meldungen, die aus dem Funkgerät drangen. Diane versuchte ebenfalls zu horchen, aber in ihr herrschte solches Chaos, dass sie sich nicht auf die knisternden Durchsagen konzentrieren konnte.
    »Sieht so aus, als hätten unsere Freunde, die Gendarmen, da oben ihre liebe Mühe«, sagte er. »Sie sind ein bisschen überfordert.«
    Diane betrachtete die Landschaft, die hinter den Fensterscheiben vorbeizog: Die schmale Straße war weiß, aber sie fuhren recht schnell; bestimmt hatte der Wagen Winterreifen. Nichts störte das makellose Weiß, außer den dunklen Baumstämmen und einigen grauen Felsen, die hie und da hindurchspitzten. Im Hintergrund standen hohe Berge vor dem Nachthimmel, und Diane sah geradeaus vor ihnen eine Lücke zwischen den Gipfeln. Vielleicht führte die Straße da hindurch.
    Sie sah ihn noch einmal an. Beobachtete den Mann, der sie umbringen wollte. Ein Gedanke bahnte sich einen Weg in ihr, ebenso klar wie ein Eiszapfen im hellen Mondlicht. Als er sagte, er würde keinen Fehler machen, hatte er gelogen. Er wollte nur, dass sie das glaubte. Dass sie alle Hoffnung fahrenließ und sich ihm auslieferte, im Vertrauen, dass er sie am Leben ließe.
    Er irrte sich. Das hatte sie nicht vor …
     
    Zwischen zwei Schneeverwehungen sausten sie aus dem Wald heraus. Servaz sah den Eingang des Kargletschers: eine gigantische Schlucht. Auch in der Architektur war ihm ja schon bei seiner Ankunft hier der Gigantismus aufgefallen. Alles hier war maßlos. Die Landschaften, die Leidenschaften, die Verbrechen … Der Sturm frischte jäh wieder auf. Dichtes Schneetreiben setzte ein. Ziegler klammerte sich an die Lenkstange und stemmte sich hinter der lächerlich kleinen Plexiglas-Schutzscheibe gegen den Wind. Servaz duckte sich, um den dürftigen Schutz, den der Körper seiner Kollegin ihm bot, zu nutzen. Seine Handschuhe und sein Anzug wärmten ihn kaum. Der schneidende Wind drang durch die Kleidung; nur die schusssichere Weste hielt die Kälte ein wenig ab. Mitunter prallte die Maschine wie ein Bob rechts und links gegen Schneeverwehungen, und mehrmals glaubte er, dass sie kippen würden.
    Trotz der starken Windstöße näherten sie sich dem gigantischen halbkreisförmigen Felsenkessel, der stufenförmig anstieg und von Gerölllawinen und Eismuren streifig durchzogen war. Mehrere Wasserfälle waren jetzt im Winter erstarrt, der Frost hatte sie in hohe weiße Stäbe verwandelt, die an der Felswand klebten und aus dieser Entfernung den erstarrten Wachstropfen an einer Kerze glichen. Als der Vollmond zwischen den Wolken auftauchte und den Ort erhellte, enthüllte sich seine atemberaubende Schönheit. Ein Gefühl der Erwartung, der Schwebe hing über dieser Stätte.
    »Ich seh ihn!«, schrie sie.
    Die zigarrenförmige Silhouette des Schneemobils erklomm den Hang auf der anderen Seite des Kars. Servaz glaubte undeutlich den Verlauf eines Pfades zu erkennen, der zu einer großen, klaffenden Spalte zwischen den Felswänden führte. Die Maschine war bereits auf halber Höhe des Hangs. Plötzlich zerteilten sich die Wolken, und wieder erschien der Mond,

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