Schwarzer Schwan
bis sie aufmacht.
Dominik knipst das Licht an. Mitten im Raum stehen zwei große Tische aus Stahl mit einer Rinne rundherum und einem Abfluss. Es riecht nach Putzmitteln.
»Willst du das wirklich?«, fragt er.
Mir ist überhaupt nicht wohl. Aber ich darf jetzt keinen Rückzieher machen, nachdem ich den Kommissar zu dieser Aktion überredet habe.
»Es muss sein«, antworte ich.
Er öffnet eine zweiflügelige Tür. Ich spüre die kalte Luft.
»Warte hier.« Dominik verschwindet durch den Plastikvorhang.
Für einen Moment ist mir schwindlig. Ich habe noch immer Angst vor dem Schwein. Aber wenn ich mit eigenen Augen die Leiche gesehen habe, kann ich meine Albträume loswerden. Zumindest hoffe ich das.
Dominik rollt die Bahre heraus. Der Mann ist nackt und blass, der Mund steht etwas offen. Die Schussverletzungen im Gesicht habe ich mir verheerender vorgestellt – immerhin soll es Schrot gewesen sein, das man bei der Jagd auf Wildschweine verwendet. Und ich vermisse den Zettel, den die Toten in den Fernsehserien immer am großen Zeh haben. Stattdessen ist mit blauem Filzstift eine Nummer auf den Schenkel geschrieben.
Der Körper ist fleckig. Vom Hals bis weit nach unten erstreckt sich eine hässliche Naht. Sie durchquert die tätowierte Sonne. Grobe Stiche. Eine weitere Naht verläuft oberhalb der Stirn. Man hat ihn aufgemacht. Den Schädel zersägt. Organe entnommen.
Dominik zeigt mir die Stelle am Hinterkopf, wo ein großes Stück vom Knochen fehlt.
Eindeutig tot. Der Dreckskerl wird mir nie wieder etwas antun. Bald fressen ihn die Würmer.
Gut so.
Samstag, 9. Juli, Düsseldorfer Morgenpost, Titelseite:
FÜHRENDE WIRTSCHAFTSVERTRETER STÄRKE N KANZLERIN DEN RÜCKE N
Auch während Chinareise bleibt Eurorettun g Thema Nummer ein s
Unser Chefreporter Willi Böhmer berichtet aus Beijing
Montag, 10. Juli, Süddeutsche Zeitung, Titelseite:
KANZLERIN ZIEHT MIT NEUEM KABINET T IN DEN WAHL-HERBS T
Designierter Umweltminister Mierscheid für »Atomausstieg mit Augenmaß «
Dienstag, 11. Juli, Düsseldorfer Morgenpost, Wirtschaftsteil:
RHEINBANK-CHEF DINGENDORFF :
›EUROPAS MANAGER DES JAHRES‹ SCHREIB T ERFOLGSGESCHICHT E
83.
Die Glöckchen klingelten. Lilly trat in den Laden. Was für eine Überraschung!
Wann hatte sie ihm gesagt, sie passten nicht zueinander? Udo rechnete nach. Mehr als ein halbes Jahr war das her.
»Was willst du?«, fragte er.
»Sternchen.«
»Raus!«
Lilly lachte. Sie wusste genau, dass er keinen Kitsch à la Sternchen fabrizierte. Und ihm war klar, dass sie nur geflachst hatte. Ein Insiderscherz unter Expartnern. Aber was wollte sie wirklich?
»Wie ich sehe, ist dir ein Kunde abgesprungen«, sagte Lilly.
»Woran willst du das erkennen?«
»Du bestellst sie immer für ein Uhr. Es ist fünf vor und du hast noch nicht mit der Vorbereitung begonnen. Oder verzichtest du inzwischen völlig auf Hygiene?«
»Hey, du weißt genau, dass niemand in dieser Stadt so sauber arbeitet wie ich!«
»Schon gut.« Sie schob den Vorhang beiseite und betrat den Nebenraum. »Der Spiegel ist neu«, stellte sie fest. »Die Liege auch. Schick.«
Wenn Sandra jetzt aufkreuzt, kriege ich Stress, dachte Udo. Seine Neue hasste es, wenn er sich mit Ehemaligen traf. Er durfte sie nicht einmal erwähnen. Eifersucht, dein Name lautet Sandra.
»Sag mir, was du willst«, wiederholte Udo.
»Warum wohl geht eine Frau in einen Tattoo-Shop? Ich möchte Flügel. Über beide Schultern. Beeindruckende Flügel und du bist der Beste. Hast du zumindest stets behauptet.«
»Du findest Tätowierungen albern. Hast du immer behauptet.«
»Alles braucht seine Zeit.«
»Aber du bist kein Engelchen.«
»Ich will auch keine Engelsflügel. Nein, etwas Dämonisches. Für Rächer, die entschlossen ein Ziel verfolgen, koste es, was es wolle.«
»Achthundert Euro. Und das ist ein Sonderpreis. Leg dich hin, Lilly.«
»Zeig mir erst deine Vorlagen.«
»Ich arbeite nicht mit Vorlagen. Jedes Tattoo ist bei mir individuell. Weißt du doch.«
»Ich weiß nur, dass du manchmal die ganze Nacht am Computer sitzt und Ideen aus dem Internet klaust.«
Lilly musste immer das letzte Wort behalten. Sandra war genauso. Ich gerate immer an die gleiche Sorte Weiber, dachte Udo.
Er öffnete den Schrank, holte einen Ordner heraus und schlug ihn auf: Schwingen, Gefieder und Krallen für Fledermäuse, Drachen oder Teufel.
Lilly blätterte vor und zurück, schließlich tippte sie auf ein besonders bizarres Bild.
»Ist Ratenzahlung,
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