Schwarzer Tanz
Sie glaubte nicht an einen Zufall, auch nicht an eine schicksalhafte Fügung. Eine Welle der Furcht überkam sie. Sie stand einfach da, ihre blassen Hände verkrampft unter ihrem blassen Gesicht. Die Komplikationen, die diese Situation mit sich brachte, machten ihr mehr zu schaffen als der Verlust.
Dann ging sie zur Arbeit, zu spät, da sie den Bus verpasst hatte, und Mister Gerard führte sie direkt in das schmuddelige Hinterzimmer.
» Rachaela, es tut mir leid, aber ich werde Sie entlassen müssen.«
Sie musste über diese hervorragende Ausgewogenheit ihrer Notlage fast lachen.
» Sie dürfen nicht denken, dass es etwas mit Ihrer, na ja … ziemlich unberechenbaren Zeitplanung zu tun hat. Wir sind doch eigentlich ganz gut miteinander ausgekommen. Das Problem ist, dass dieser Laden einfach nicht genug abwirft. Ich hab’ schon länger darüber nachgedacht. Hab’ gestern mit dem alten Steuerberater darüber gesprochen. Ich kann’s nicht ändern.«
Zum Trost bot er ihr einen Keks an.
Sie stellte sich den Agenten des Leoparden vor, der Mister Gerard aufsuchte, und ihn mit einem glänzenden Messer bedrohte. Vielleicht waren die Agenten vielleicht auch auf den Hauseigentümer angesetzt worden. Sie biss in den Keks und schluckte das geschmacklose Gebäck runter.
» Bleiben Sie bis zum Ende des Monats. Ich werde Ihnen einen Extramonat als Entschädigung bezahlen. Ich weiß, dass das etwas zu viel ist. Sie sind jetzt seit einem Jahr hier, nicht wahr? Ich werde Sie vermissen.«
Sie wusste, dass er log und dass er insgeheim froh war, sie rauswerfen zu können. Wie oft hatte er versucht, etwas über sie herauszufinden, und sie hatte ihm nichts gesagt. All die Witze, über die sie nicht gekichert hatte, die erfundenen Kundenströme, die sie durch ihr Zuspätkommen verpasst hatte. Ihre fehlenden Entschuldigungen.
Er war sie glücklich los. Aber was sollte sie tun?
Sie wusste, was von ihr erwartet wurde. Es war ziemlich offensichtlich. Der Leopard saß da, wartete auf sie, seine tintenschwarze Gestalt verborgen in einem Gewand aus Nacht und Nebel.
Sie nahm ein zerbrechlich aussehendes, zerfleddertes Buch in die Hand, eine tote schwarze Motte. Sie schlug es auf und las: » Ihr Herz war von Freude erfüllt, über das bevorstehende fröhliche Wiedersehen«, und zitterte. Es war unvermeidlich, und das war es schon von Anfang an gewesen. Sie würde nachgeben müssen.
Keiner der anderen Mieter sprach Rachaela auf den bevorstehenden Auszug an. Vielleicht war es ihnen egal. Zwei der Wohnungen wechselten sowieso regelmäßig ihre Bewohner, und auch der Rockmusikenthusiast war erst vor wenigen Monaten zugezogen. Sie hatte den Kontakt mit ihnen allen vorher stets gemieden. Doch wahrscheinlich waren sie angesichts der Mühlen dieser Bürokratie genauso hilflos wie sie selbst. Sie ging pünktlich zur Arbeit und überzog ihre Mittagspause auch nicht mehr. Sie machte sich ernsthafte Sorgen.
Mister Gerard quetschte sich neben sie an die Ladenkasse. Er hatte sein Versteck im Hinterzimmer verlassen, um die Kunden zu bedienen, so dass er sich schon einmal daran gewöhnen konnte. Er hing nicht mehr nur am Telefon, stopfte jedoch eine Riesenmenge Kekse in sich hinein. Als die Woche zu Ende ging und das Monatsende nahte, wurde Mister Gerard verlegen, ließ schreckliche Extrawitze vom Stapel und trug Rachaela auf, den Boden zu fegen; etwas, was ihn vorher nie interessiert hatte. Er schickte sie nicht nach Sandwiches, sondern kaute trockenes Brot und Gurken. Sie mochte seine Nähe nicht. Sie war jetzt nur noch selten allein im Laden und begann sich regelrecht nach dem Monatsende zu sehnen. Sie würde sich einen anderen Job suchen müssen. Es wäre wohl am besten, sich an irgendeine dieser Agenturen zu wenden. Sie waren klug und flink. Sie waren ihr verhasst.
Es regnete heftig, und sie eilte über den Rasen, wobei sie beinahe mit dem Mann in Überzieher und Wollmütze zusammenprallte.
» Miss Day, ich wurde gebeten, Ihnen das persönlich zu geben.«
Sie nahm den Umschlag entgegen, die Aufschrift war aufgedruckt. Sie standen sich im strömenden Regen gegenüber, zwei Kreaturen im Dschungel, denen die Nässe nichts anhaben konnte.
» Ich will das nicht.«
» Sie müssen es nehmen. Lesen Sie es.«
» Ich dachte, all das wäre vorbei.«
» Bitte, Miss Day.«
» Na schön. Gut.«
Sie lief mit dem Brief in der Hand weg, und der Regen glitzerte auf ihrem wundervollen Haar wie zerbrochenes Glas. In der Eingangshalle schüttelte sie sich
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