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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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der Fahrer sie in dieser Wildnis zurücklassen und sein schäbiges Auto heimwärts kutschieren würde, zurück an ein elektrisches Kaminfeuer, in einem warmen, vor Kinderspielzeug und Wäsche überquellenden Reihenhaus; Hamburger zum Abendbrot, eine liebevolle Frau und zwei lebhafte Kinder, vielleicht sogar ein Baby. Einen Moment lang war sie rasend eifersüchtig, voller Zorn und neidisch auf so viel Normalität. Nur die Hypothek und seine langen, unregelmäßigen Arbeitsstunden machten ihm Kopfzerbrechen; doch er konnte zu seiner warmherzigen Frau und den Sprösslingen ihrer früheren Liebe, heimkehren.
    Und was bin ich? Wie sehe ich mich eigentlich?
    Vor ihrem inneren Augen erschien das Bild einer schwarzen Motte, die durch die Nacht flatterte; Wild, das zwischen angsteinflößenden Schatten hindurchpreschte, alle Sinne geschärft.
    Kein warmes Kaminfeuer für sie. Wo ging sie hin, wohin brachte sie dieser seltsame Fahrer, der seinen Weg noch nicht einmal selbst kannte?
    Vor ihr breitete sich gähnend ein Sumpf aus.
    Rachaela war übernervös, ihre Hände krampften sich um die schwarze Handtasche, die bereits völlig zerknautscht war. Eine leichte Übelkeit überkam sie, das war ihr in den letzten Tagen mehrmals passiert. Angesichts ihrer Zukunftsaussichten bestand vielleicht wirklich Grund zur Sorge.
    Scarabae.
    Hinter den ebenen Feldern konnte Rachaela die Sonne sehen; verschwommen versank sie in den westlichen Tälern. Kühne Berge ragten kerzengerade aus dem Boden, einige trugen weiße Masken aus Kalk, wie die Köpfe von Fabeltieren, lauernd und grinsend, Grimassen ziehend, ihre Augen dunkle Höhlen. Bäume wuchsen aus dem Fels, Efeuranken überwucherten die Erde und hielten das bröckelnde Gemäuer zusammen. In früheren Zeiten hatten hier vielleicht einmal Häuser gestanden. Doch jetzt nichts mehr. Vergangenheit.
    » Was für ein verlassener Ort«, der Fahrer unterbrach erneut das Schweigen, beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen. » Werden bald die See sehen.«
    Rachaela hatte nicht gewusst, dass sie in Richtung Küste fuhren. Eigentlich wusste sie gar nichts. Die ganze Welt war ein Rätsel für sie, fremde Namen und Sprachen aus ihrem Radio.
    Der Laden in der Lizardstreet würde jetzt bald schließen, und die Feierabendbusse würden über die Autobahnen kriechen. Lichtjahre entfernt. Verloren, vergangen.
    Am Himmel segelten Möwen. Die Straße stieg an, machte eine Wende, und plötzlich breitete sich der fischgraue, glitzernde Ozean vor ihnen aus. Weit unten sprühte schaumige Gischt gegen die Klippen. Rachaelas Herz stieg mit ihr empor und sank dann matt und furchtsam wieder zu Boden. Die See brachte keinen Trost.
    Sie fuhren über das Wasser, manchmal sahen sie ein Stück des gewundenen Strandes, und einmal schwamm ein riesiger Tanker am Horizont wie ein gemächlich dahintreibender Dinosaurier.
    » Wir werden jetzt bald an eine Abzweigung kommen, wenn ich die Karte richtig entziffere.«
    Erneut riss die Stimme des Fahrers an ihren Nerven.
    » Eine Abzweigung«, wiederholte sie. Aber nun schien er nicht mehr zum Reden aufgelegt zu sein.
    Gerade erschien die Abzweigung zu ihrer Linken, die Straße wand sich zwischen dichten Baumreihen hindurch. Schwarze Tannen wuchsen am Berghang, ein Wald wie aus einem Märchenbuch, nur kleiner. Sie entfernten sich schnell vom Meer, und ein Dach aus dicken Zweigen warf seinen Schatten über sie. Äste wurden mit aller Wucht gegen das Auto geschleudert. Es war eine holprige Straße, voller Schlaglöcher; Schotter spritzte auf wie Maschinengewehrsalven.
    » Schlecht für meine Reifen«, brummte der Fahrer.
    Rachaela zeigte kein Mitleid.
    » Hat mir niemand gesagt, dass es so schlimm werden würde.«
    Sie bahnten sich ihren Weg durch den Wald. Unter den Bäumen herrschte völlige Dunkelheit. Die Sonne brach manchmal durchs Geäst wie ein Blitz und war im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden.
    Die Straße machte eine Kurve und endete plötzlich am Rande des verwitterten Berges. Es war dunkel, nur die Bäume lauschten ihrem Eindringen. Der Cortina stoppte, in der eintretenden Stille zwitscherten und jubilierten Vögel; ein seltsames, urzeitliches Geräusch.
    » Sehen Sie.«
    Rachaela erblickte einen steinernen Wegweiser, auf dem nur zwei Worte standen: Das Haus.
    Nichts weiter, nicht einmal ein Richtungspfeil.
    » Muss da oben auf dem Hügel liegen.« Der Fahrer drehte sich zu ihr um und grinste, zeigte schließlich doch das gefürchtete Gesicht des Feindes.
    »

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