Schwarzer Tod
Nachwirkungen, die eine Verwundung durch Giftgas nach sich zog. Zahlen sagen nicht immer die Wahrheit, schon gar nicht, wenn es um menschliche Schmerzen geht. Aber mit Sarin hat die chemische Kriegführung ein völlig neues Stadium erreicht. Wir sprechen von einer Waffe, die eine viermal so hohe Sterblichkeitsrate besitzt wie Schuß- oder Granatverletzungen. Sarin ist hundertprozentig tödlich. Es wird alles Leben töten, das es berührt. Ich würde lieber mit einem Gewehr an die Front gehen, als etwas zu entwickeln, das so verheerend ist.«
Davids ganze Körperhaltung drückte seinen Widerwillen aus, sich auf dieses Thema einzulassen. »Ich habe geschworen, nie wieder mit dir darüber zu streiten. Es ist dieselbe Debatte, die ich immer mit Dad geführt habe. Die Bergpredigt gegen Maschinengewehre. Gandhi gegen Hitler. Passiver Widerstand nutzt gegen Deutschland nichts, Mark. Die Nazis scheißen einfach drauf! Wenn du ihnen die andere Wange hinhältst, schlitzen diese Mistkerle sie dir auf. Verdammt, es waren schließlich die Deutschen, denen Dad seine Verletzung zu verdanken hatte!«
»Sprich leiser!«
»Ja, ja, Jesus! Die Richtung, die dieses Gespräch eingeschlagen hat, gefällt mir überhaupt nicht.« Nachdenklich kratzte sich der junge Pilot das stoppelige Kinn. »Okay, gut ... Hör mir einfach eine Minute zu. Zu Hause nennen dich alle Mac, stimmt's? Das war schon immer so.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Hör einfach nur zu. Mich nennen alle David, richtig? Oder Dave, oder Slick. Warum glaubst du wohl, nennen dich alle Mac?«
Mark zuckte mit den Schultern. »Ich war der ältere.«
»Falsch. Sie haben dich so genannt, weil du dich genauso wie Dad benommen hast, als er ein Kind war.«
Mark rutschte auf seinem Stuhl herum. »Schon möglich.«
»Was heißt hier >schon möglich Du weißt, daß ich recht habe. Aber was du nicht weißt, oder was du einfach nicht wissen willst, ist, daß du dich immer noch wie Dad benimmst.«
Mark richtete sich kerzengerade auf.
»Unser Vater, der große Arzt, hat die meiste Zeit seines Lebens in unserem Haus verbracht und sich versteckt.«
»Meine Güte, er war schließlich blind!«
»Nein, das war er nicht«, widersprach David hitzig. »Seine Augen waren verletzt, aber er hat gesehen, was er sehen wollte.«
Mark wandte den Blick ab, widersprach jedoch nicht.
»Der Himmel weiß, wie schrecklich sein Gesicht ausgesehen hat, aber er hätte es nicht verstecken müssen. Als ich noch ein Kind war, dachte ich, er müßte es tun; doch er mußte gar nichts. Die Leute hätten sich an ihn gewöhnen können. An seine Narben.«
Mark schloß die Augen, doch in seinen Gedanken wurde das Bild dadurch nur umso klarer. Er sah einen gebrochenen Mann auf dem Sofa liegen, dessen Gesicht und Hals zum größten Teil von ätzenden Giften entstellt worden war, die über seinen halben Körper geflossen und ihm sogar in die Lungen gedrungen waren. Als Junge hatte Mark zugesehen, wie seine Mutter feuchte Tücher auf die Augen des Mannes gepreßt hatte, um die Tränen aufzusaugen, die unkontrollierbar aus den zerstörten Schleimhäuten gelaufen waren. Wenn sie sicher gewesen war, daß sein Vater schlief, war sie in die Küche gegangen und hatte leise geweint.
»Mom konnte sich nie daran gewöhnen«, sagte er ruhig.
»Du hast recht«, bestätigte David. »Aber sein Gesicht war nicht der Grund. Es waren die Narben in seinem Inneren, mit denen sie nicht fertig wurde. Verstehst du mich? Dad war ein staatlich beglaubigter Kriegsheld. Er hätte in ganz Amerika mit vor Stolz geschwellter Brust herumlaufen können. Aber das tat er nicht. Und weißt du auch weshalb, Doktor McConnell? Weil er zuviel gegrübelt hat. Genau wie du. Er hat versucht, das Gewicht dieser ganzen verdammten Scheißwelt auf seine Schultern zu nehmen. Als ich in die Air Force eingetreten bin, hat er damit gedroht, mich zu enterben. Und das auf seinem Sterbebett. Doch schon lange vorher hat er dir soviel Angst vor dem Krieg eingeimpft, daß er dein ganzes Leben damit geprägt hat.« David wischte sich über die Stirn. »Sieh mal, ich will dir nicht vorschreiben, was du tun sollst. Du bist schließlich das Genie in dieser Familie.«
»Nun hör aber auf, David!«
»Verdammt, laß diesen scheinheiligen Quatsch! Ich war acht Jahre nach dir auf der Schule, und die Lehrer haben mich immer noch mit deinem Namen angesprochen, klar? Ich bin Flieger, kein Philosoph; doch das eine weiß ich: Wenn Ikes Invasion endlich losgeht und unsere
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