Schwarzer Tod
Handfläche. Es schien ein Dekorationsstück aus Glas zu sein.
»Gentlemen«, begann er. »Die Zeit drängt, und die Angelegenheit, um die es hier geht, ist ernst. Also fasse ich mich kurz. Die Nazis ...« Er sprach das Wort Naazis aus, etwas undeutlich, und schaffte es, sowohl Verachtung als auch Drohung hineinzulegen, »... greifen wieder in die Trickkiste. In dem Augenblick, als sich die Waage der Ereignisse unwiderruflich zu unseren Gunsten zu neigen scheint, ich möchte sagen, unmittelbar vor der Invasion, ist der Hunne in neue Tiefen des Schrecklichen vorgedrungen. Er hat sich anscheinend entschieden, vor keinem noch so entsetzlichen wissenschaftlichen Greuel zurückzuschrecken und nicht zu zögern, dieses auch einzusetzen, um dem Untergang zu entfliehen.«
Obwohl Eisenhower mittlerweile an Churchills blumige Rhetorik gewöhnt war, hörte er aufmerksam zu. Er war gerade erst aus Nordafrika gekommen und unterwegs nach Washington, und auch nur der geringste Hinweis auf neue Informationen vom Kriegsschauplatz Europa erregte sofort seine Aufmerksamkeit.
Churchill rollte noch immer den kleinen Glaszylinder in der Hand. »Bevor ich weiterspreche, muß ich darauf bestehen, daß dieses kleine Treffen offiziell niemals stattgefunden hat. Es dürfen keinerlei Eintragungen in private Tagebücher gemacht werden. Ich werde sogar eine meiner eigenen ehernen Regeln brechen. Niemand wird beim Verlassen aufgefordert werden, sich ins Gästebuch einzutragen.«
Eisenhower hatte genug von dem Vorgeplänkel. »Wovon zum Teufel reden Sie, Herr Premierminister?«
Churchill hielt das Glasding hoch, mit dem er die ganze Zeit über herumgespielt hatte. Es war eine winzige Ampulle. »Gentlemen, würde ich diese Phiole zerstören, wäre jeder Mann in diesem Raum innerhalb einer Minute tot.«
Das war der alte Churchill, der dramatische Schauspieler, der verbale Granatwerfer. »Was ist das?« verlangte Eisenhower zu wissen.
Der Premierminister biß auf seine Zigarre und senkte herausfordernd den runden Kopf. »Gas«, sagte er.
Eisenhower kniff die Augen zusammen. »Giftgas?«
Der Premierminister nickte langsam und nahm die Zigarre aus dem Mund. »Und zwar nicht das hausgemachte Zeug, an dem wir im letzten Krieg herumgewürgt haben, obwohl das weiß Gott schon schlimm genug war. Das hier ist etwas vollkommen Neues, etwas absolut Monströses.«
Eisenhower bemerkte, daß Churchill das Wort wir benutzt hatte, als er auf die Qualen von Giftgasangriffen angespielt hatte. Und er fragte sich, ob das eine verschleierte Anspielung auf die Tatsache war, daß er, Eisenhower, während des Großen Krieges nicht im Feld gedient hatte. Er hatte all die Jahre Panzertruppen in Pennsylvania ausgebildet. Wenn Churchill nach einem wunden Punkt gesucht hatte, dann hatte er ihn gefunden. »Und?« fragte Eisenhower kurz angebunden. »Um was für ein Gas handelt es sich?«
»Sie nennen es Sarin. Und es ist schon ein verdammtes Wunder, daß wir überhaupt etwas davon erfahren haben. Das haben wir Duff Smith zu verdanken.« Churchill sah den einarmigen SOE-Chef an und forderte ihn auf, aufzustehen. »General?«
Duff Smith, ein erfahrener Veteran der Cameron Highlander, stand eine Zeitlang selbstbewußt und schweigend da. »Vor 30 Tagen«, erklärte er schließlich mit einem Hauch des singenden Dialekts seiner Heimat in der Stimme, »haben wir erfahren, daß unsere schlimmsten Befürchtungen über die Bemühungen der deutschen Chemieforschung zutreffend waren. Sie haben nicht nur mit halsbrecherischer Geschwindigkeit vor dem Krieg neue Waffen entwickelt, sondern sie haben auch neue Kampfgase produziert und sie überall im Land gelagert.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Eisenhower. »Wir machen doch dasselbe, oder etwa nicht?«
»Ja und nein, General. Unsere Forschungsprogramme haben erst begonnen, als wir bemerkten, wieviel Deutschland zwischen den Kriegen erreicht hat. Und ehrlich gesagt, haben wir diesen Vorsprung nie ganz eingeholt.«
»Reden wir über Nervengase?« fragte der amerikanische Geheimdienstmajor. Er sprach zum ersten Mal. »Tabun kennen wir schon seit einiger Zeit.«
»Das hier besitzt eine erheblich andere Größenordnung«, erwiderte Duff Smith leicht gereizt. »Den deutlichsten Hinweis auf seine Gefährlichkeit liefert die Tatsache, daß die Nazis diese Gase an menschlichen Versuchskaninchen testen, und zwar hauptsächlich in SS-geführten Konzentrationslagern in Deutschland und Polen. Diese Experimente haben in 100 Prozent der Fälle
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